Ein Manuskript zerfällt – erster Teil

Gut verschnürt schicke ich im Dezember 1980 mein Manuskript „Tal“ aus Vassor, Finnland, an meinen Verleger in der Schweiz. Die Lektorin teilt mir mit, dass ihr das Projekt gefalle, dass die vorliegende Fassung aber zu umfangreich sei. Sie bittet mich, das Manuskript auf mögliche Kürzungen hin durchzulesen und entsprechende Vorschläge zu machen. Ich streiche den ganzen letzten Teil des geplanten Buches. Ein fiktiver Jungdichter, der auf dem Älpchen Ögna sein „Öniesisches Album “ schreibt, muss auf meinen Entschluss hin die Centovalli verlassen. Das Foto von 1961 zeigt, wo ich ihn 1980 in „Tal“ einquartiert hatte.

Ich bin immer noch am Überarbeiten meines Textes, als mir der Verleger mitteilt, dass sein Verlag auf die Veröffentlichung von Erwachsenenliteratur verzichte und das Programm wieder auf Bilder-, Kinder- und Jugendbücher beschränke.

Nachfolger meines öniesischen Jungdichters wird 2008 der 25-jährige Reto Tschanz in meiner mehrstimmigen Tessiner Erzählung „Der Salon der Witwe Rusca“. Ich siedle ihn in einer Alphütte über dem Dorf Aurigeno im Maggiatal an. Dort plant er einen Farbanschlag auf den prominenten Literatur- und Filmkritiker Urs Martin Stich. Gleichzeitig schreibt er an einem Buch über ein 1797 geplantes Attentat auf den Politiker und Schriftsteller Karl Viktor von Bonstetten.

Der mit ungiftiger Farbe verübte Anschlag findet aber nicht im Maggiatal, sondern in den Centovalli statt, in einer Schlucht zwischen Intragna und Rasa, wo Stich nackt zu baden pflegt.

Mit einem hallenden Schrei schreckte Urs Martin Stich aus seinem wohligen Dösen auf. Ein kalter Strahl hatte sich von oben auf seinen sonnenwarmen nackten Körper ergossen. Er sah an der Felswand empor, ohne den Ursprung des Wassergusses zu entdecken. Dann blickte er an sich hinunter und erstarrte: Immer blauer verfärbte sich die getroffene Haut, sie leuchtete wie der Enzian, der breitblättrige oder Keulen-Enzian, der im Mai auf der sauren Matte von Doledo seine Kelche öffnete.

Die Fotos zeigen den Ri di Vacariccio von Corcapolo aus und H.M. Stichs Lieblingsplätzchen in der Schlucht.