Wenn der Weingott nach Aurora kommt, teaterverlag elgg, Belp 2013
Ueli Jaussi, Germanist, anlässlich der Buchvernissage am 7. November 2013:
„Es hat drei Beine. Sie vereinigen sich auf Wadenhöhe. Ein kräftiger Eisenstab setzt ihre Aufwärtsbewegung fort. Auf ihn sind acht kleine, dicke Bücher gestapelt. Es sind aber nicht richtige Bücher, sondern augenscheinlich Attrappen. Sie sind recht grob aus Holz gefertigt und in gedeckten Farben gestrichen; sie haben Zeichencharakter, sollen Bücher nur vorstellen. Der Clou aber ist oben auf dem Bücherturm, etwa auf Brustbeinhöhe eines Erwachsenen, aufgesetzt. Es ist ein nach oben offener Trichter, der mit bedruckten Papierfetzen ausgekleidet ist. Einzelne Wörter auf den Fetzen kann man noch entziffern: Liebe, Regen, Herz liest man da etwa oder auch Stimmen, erkannte, Gott und Radioaktivität. Worum handelt es sich bei diesem Gebilde? Ist es eine Skulptur, eine Plastik, ein besonders origineller Hutständer? Eine Stele, ein Readymade, ein Kunstobjekt also aus vorgefundenem Material, oder schlicht und neutral ein Objekt? Was auch immer – zumindest hat es einen Namen. Wer sich bückt und das unterste Buch von unten her anschaut, liest da grob aufgepinselt: BUCHSEELENFÄNGER K.H. 93/95. Bei dem Objekt also handelt es sich um eine Arbeit des bildenden Künstlers Kurt Hutterli aus den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts.
Damit ist weit mehr gewonnen als bloss der Name des Künstlers. Wir haben uns in Erinnerung gerufen, dass Kurt Hutterli, dessen neues Buch wir heute Abend kennen lernen wollen, eben auch bildender Künstler ist. Seine Objekte sind meist aus vorgefundenem Material, aus Gerümpel gar, gefertigt. Die drei Beine des Buchseelenfängers stammen von einem alten drehbaren Küchenstuhl. Das Faktische aber ist verbunden mit Erfundenem, das Praktische, kombiniert mit Zeichenhaftem, erhält einen ganz neuen, eigenen Sinn. So entsteht mittels Phantasie aus Gerümpel ein „Kunstgebild der echten Art“ .
So arbeitet nicht nur der bildende Künstler, so arbeitet auch der Schriftsteller Kurt Hutterli. Er geht wachen Auges durchs Leben, macht seine Erfahrungen, bückt sich mal da, mal dort nach etwas, oft nach ganz Alltäglichem, Banalem, sammelt viel scheinbar Unnützes, bewahrt es auf, man könnte es ja einmal brauchen. Da spielt Vererbung mit. „Mein Grossvater Jakob, Schlosser von Beruf, später Rangierer und schliesslich Bürochef bei den Schweizerischen Bundesbahnen, bückte sich beim Spazieren immer wieder nach kleinen Fundstücken, die ihm, wie er erklärte, eines Tages nützlich werden könnten“, schreibt Hutterli 1994 einmal. Und: „Mein Vater Werner sammelte Steine, Rindenstücke, Hölzer, Blechabfälle, Vogelfedern, Grashalme, Schneckenhäuser, ausgediente Apparate, Uhrwerke, Spielzeug, verwandelte sie in Insektenwesen, fügte sie zu Modellen seiner Erfindungen zusammen… So bin auch ich Sammler, Verwandler und Maler geworden. Als Kind wollte ich zuerst Naturforscher werden. Ich bemühte mich, die Natur abzuzeichnen, sammelte Kristalle, Versteinerungen, Pflanzen, Vogelfedern, Schmetterlinge, Knochen, Geweihe und tote Tiere, die ich auszustopfen versuchte. … Und eines Tages begann ich mich auch für das zu interessieren, wonach sich schon mein Grossvater Jakob gebückt hatte: für scheinbar Wertloses, Liegengelassenes, Verlorenes, Weggeworfenes, das sich durch Fantasie, durch imaginative Kraft verwandeln liess.“ Die gesammelten sammelnden Hutterlis sind also nicht allesamt Messis, sie sind Verwandler und Gestalter des Alltags, sie sind Künstler.
Wandere du durch das Land
Und vergiss es,
So steigt es dir schön
Wie ein Abendgewölk in der Seele empor.
So beschreibt Albin Zollinger einmal das Wesen des Dichters. So verhält es sich auch mit dem Dichter Kurt Hutterli immer wieder. Von den ersten bis zu den neuesten Prosagedichten, vom Soldatenbuch Herzgrün über die Materialien zum Grindelwaldner Treffen der Gruppe D mit dem süffisanten Titel felsengleich bis zu den Romanen Elchspur und Das Centovalli Brautgeschenk, von den frühen Hörspielen und Theaterstücken bis zum letzten Stück Centovalli – Centoricordi, um nur einige von Hutterlis Werken zu nennen: Immer wieder und immer wieder auf neue Art sind in ihnen Fakten und Fiktionen kunstvoll und mit Witz miteinander verbunden.
Das ist nicht anders und doch wieder ganz neu und eigen-artig (und auf eigene Art artig) im neuen Buch, von dem nun die Rede sein soll, in Wenn der Weingott nach Aurora kommt. Es handle sich um „Aufzeichnungen des Cafeteria-Besitzers Roberto (Bob) Sotta“,
verrät der Untertitel – und wirft damit gleich eine Reihe von Fragen auf: Haben wir mit diesen Aufzeichnungen einen Lebensbericht, also eine Art Sachbuch vor uns? Aber passt in so ein Buch ein Weingott, eine mythische Figur wie Dionysos alias Bacchus? Und was hat es mit dem Ortsnamen Aurora auf sich? Ist es ein real existierendes Städtchen, wie es sie mit dem Namen Aurora einige gibt, gerade in Kanada, wo der Autor lebt? Oder ist es ein erfundener, aus Wirklichkeitsstücken zusammengeträumter Ort wie das Seldwyla Gottfried Kellers, William Faulkners Yoknapatawpha County, Otto F. Walters am Jurasüdfuss gelegenes Jammers oder Uwe Johnsons Jerichow? Mal sehen. Mal lesen. Es ist mit Mischungen der Hutterlischen Art zu rechnen. Schon das Titelbild des Buchs ist ja verdächtig: Da ist ein Ausschnitt aus einem italienischen Deckenfresko, auf dem ein Weingott auf einem goldenen, von Löwen gezogenen Wagen zu sehen ist, mit einem Foto kombiniert, das Gebäude zeigt, wie sie sich etwa im Städtchen Oliver im kanadischen Okanagan Valley finden lassen. Was ist da Faktum, was Fiktion?
Es fängt gleich mit einer ziemlich fiesen Geschichte an. Wir werden sie bald hören. Hier darum nur so viel: Diese Geschichte hat uns der Autor, vor vielen Jahren schon, als eine wahre Geschichte aus seinem kanadischen Umfeld aufgetischt…
Und in diesem Stil geht es munter weiter. Erfundenes und Vorgefundenes wird bunt gemischt. Bob Sottas Cafeteria in Aurora mit seiner wunderbar speziellen Stammkundschaft heisst Black Ink. Das erinnert Eingeweihte sogleich an jenes verrauchte und auch ein wenig verruchte Lokal namens Schwarze Tinte an der Berner Kramgasse mit seinem frühen Gothic-Dekor, wo sich in den Siebzigerjahren Studenten, Künstler und Möchte-gern-Künstler gerne versammelten. Da wurde viel philosophiert und schwadroniert, geträumt, gedichtet und aus dem Kaffeesatz gelesen. Ganz ähnlich geht es im Black Ink zu, diesem kulturellen Nabel Auroras. Da gibt es Büchergestelle mit Werken der Literatur, Kunst, Philosophie, Musik. Am Dienstag und Donnerstag blickt Gilberte alias Sara Des-Saintes-Maries-de-la-Mer hinter ihrem mit goldenen Sternzeichen bestickten schwarzen Samtvorhang in ihre Kristallkugel und für ihre Kundschaft in die Zukunft. Roberto, Andy und die andern aurorisieren und dionysieren nach Herzenslust und hecken die Sprüche aus, die sie, um die Sprüche des Predigers Donald Roy zu kontern, vor dem Black Inn und in dessen Toiletten platzieren.
Überhaupt: die Figuren! Was für ein quicklebendiges, farbiges Völklein tritt da auf, darunter manch ein Kauz und schräger Vogel, aber auch viele mit Tiefgang und nicht nur lichter Vergangenheit. Da ist, im Vordergrund, der Erzähler: Roberto oder Bob Sotta, zweimal geschieden, früher Theatermann, jetzt Cafeteria-Besitzer, dessen Aufzeichnungen wir lesen. Dann La Mamma, seine Mutter, 84, eingewandert aus Domodossola. Sie lebt allein und etwas abgelegen in einem grossen Haus. Bob versucht sie zum Umzug in eine Wohnung im Städtchen zu bewegen; sie sträubt sich. Und Lorri, die Modellbauerin, zweimal geschieden und Robertos Freundin. (Achtung, kleine, scheue Liebesgeschichte!) Da sind auch, neben Bobs Freunden Andy und Nicole, Petri Kianto, der selbsternannte Schamane und Freund der Hellseherin Sara, und Donald M. Roy, der Strassenmissionar aus Vancouver, den die Aurorische Gemeinschaft Erneuerter Christen zu ihrem Apostel berufen hat, der pensionierte Journalist Oliver Hunt und sein Urgrossvater, der aus der Schweiz zugewanderte Hotelier Charles (Karl) Bertschinger mit seinem „Mountain Dream Hotel“ in den Rockys, der Antikenfan Dan Dooley mit seiner kleinen Nymphenkunde für das Okanagan Valley, schliesslich Sergeant Williams von der Polizei und der Feuerwehrkommandant Bruce.
Auf den ersten Blick geschieht eigentlich nicht viel. Man lebt, wie der Autor, in einer kanadischen Weingegend, dem Okanagan Valley. Das müsste gefeiert werden, findet man. So kommt der Plan eines Freilichtspiels auf. Das Festspiel Dionysos in Aurora soll zum aurorischen Herbstereignis werden. Darüber wird, im Black Ink und anderswo, viel geredet, und daran wird bald auch einmal geschrieben und ganz praktisch gearbeitet. Dazwischen tun sich Blicke in die Vergangenheit einiger Figuren auf. Vorab aus Robertos Jugend und Leben erfahren wir einiges. Spannend wird es, als Roberto beim Stöbern in Mammas Keller in einem verstaubten Koffer zwischen alten Kleidern drei blaue Hefte findet. Er schmuggelt sie aus dem Haus und beginnt zu lesen. Nun ändert sich die Tonlage des Buchs schlagartig. Wir werden ins faschistische Italien zurück versetzt. Genauer: nach Domodossola und ins Jahr 1943. Die Hefte enthalten tagebuchartige Aufzeichnungen, die sich Robertos Mutter als Sechzehnjährige während des Kriegs heimlich gemacht hat. Diese Laura, vaterlos und mausarm, verdingt sich als Gehilfin in die Papeterie ihres Onkels Giulio nach Domodossola. Der Onkel ist ein feuriger Faschist. Heimlich vertreibt er pornographische Literatur. Laura in ihrer erfrischenden Naivität merkt von allem lange nichts, auch nichts von der politischen Verbohrtheit ihres ersten Freunds Renato. Dann überschlagen sich die historischen Ereignisse. Am 10. Juli 1943 landen die Alliierten an der Küste Siziliens. Mussolini kommt unter Druck. Auf Befehl des italienischen Königs wird er als Ministerpräsident abgesetzt und auf dem Gran Sasso inhaftiert. Lauras Onkel ist am Boden zerstört. Da befreit am 12. September 1943 eine deutsche Spezialeinheit den Duce auf dem Gran Sasso und fliegt ihn nach Deutschland aus. Onkel Giulio bekommt wieder Oberwasser. Die Deutschen aber trauen ihren italienischen Verbündeten nicht mehr über den Weg. Sie übernehmen in Domodossola das Szepter, verbreiten Furcht und Schrecken. Der Krieg ist auf Domodossola übergesprungen. Und Laura erwacht langsam aus ihrer Naivität. Sie flieht aus Domodossola. Irgendwann nach dem Ende des Kriegs wird sie geheiratet und ihren Sohn Roberto geboren haben, wird nach Kanada gelangt sein und ihren Mann verstossen haben. Näheres darüber erfahren wir nicht. Wir haben Laura ja als Robertos Mamma, als dezidierte ältere Dame kennen gelernt, die mit Kratzbürstigkeit und Charme ihren Sohn in Atem hält.
Und dieser Sohn nun hat ein logistisches Problem. Er hat Lauras blaue Hefte gescannt. Deshalb kann er uns ja auch über ihren Inhalt ins Bild setzen. Nun muss er sie aber auch wieder an seiner Mutter vorbei zurück in deren Haus schmuggeln. Ob ihm das gelingt, will ich nicht verraten. Zur Handlung sei nur noch dies gesagt: Die verschiedenen offenen Fragen finden auf zum Teil überraschende Weise zu ihren Antworten. Und die Arbeit am Festspiel kommt voran.
Kurt Hutterli hat sich auch früher schon selten um die Grenzen traditioneller Gattungen und Genres gekümmert. Er hat Gedichte in Prosa veröffentlicht, eine Art Sachbuch zum Thema Hausmann mit vielen Gedichten drin, einen Materialienband voller unechter Materialien (felsengleich), die Biographie eines Ein- und Ausbrecherkönigs, posthum von ihm selbst dargestellt (Gaunerblut). Mit dem neuen Buch verhält es sich nicht anders. Es verschmilzt Dokumentarisches und Imaginiertes zu etwas ganz Neuem. Das ist übrigens heute wieder in und sogar salonfähig. Man denke nur an Autoren wie Lukas Hartmann, Ralph Dutli und Alex Capus. Was Hutterlis Schreiben aber von dem der Genannten fundamental unterscheidet und immer schon unterschieden hat: Es steckt voll mal leisem, mal übermütigem Humor und voller menschenfreundlicher Ironie. Viele von Kurt Hutterlis Werken sind auch durchaus gesellschaftskritisch; seine Fiche hat der Autor sich verdient. Das neue Buch aber ist eher von Heiterkeit – und zwischendurch von etwas Melancholie und Nostalgie – geprägt. Und es überrascht durch eine grosse formale und sprachliche Vielfalt und eine souveräne kompositorische Freiheit oder Frechheit. Es endet ganz praktisch mit einem Anhang, in dem sich Notizen zum Festspiel, ja eigentlich das Festspiel DIONYSOS IN AURORA in nuce nebst Informationen für das Programmheft finden. Dem schlitzohrigen Theatermann Hutterli ist durchaus der Versuch zuzutrauen, das Festspiel realiter im Okanagan Valley zur Aufführung zu bringen.
Zum Schluss noch ein paar Bemerkungen zur angetönten sprachlichen Vielfalt des Buchs. Wie viele Töne und Textsorten sind da zu beobachten! Da gibt es – neben Erzählerberichten – Sinnsprüche und Zitate, Klatschspalten-, Flyer-, Zeitungs- und populärwissenschaftliche Prosa, Tagebuchnotizen und Liebesbriefe, Telefonate, elegante, spritzige Dialoge und die Poesie von Wein- und Wasserdegustationen. Es lassen gelegentlich auch Salomon Gessners Idyllen grüssen. Das tönt dann persiflierend so:
Der Frühling ging zu Ende, der Sommer begann, und alles stand in schönstem Blütenschmuck. Schon waren die Bäume mit den ersten Früchten bedeckt. Süss war das Gezirp der Grillen und Zikaden, lieblich der Duft des reifenden Obstes. Man hätte meinen können, selbst der Fluss sänge, wenn er durchs Tal floss. Die Winde flöteten, wenn sie durch die Pinien strichen, und die Äpfel schienen vor Liebeslust zur Erde zu fallen.
Und im ersten Bild, dem ersten Wagen ihres Festspiels lassen die dichtenden Freunde aus Aurora den Chor sein Chorlied ganz im hohen Ton der attischen Tragödie rezitieren:
Lass uns dich feiern, Dionysos, du Jauchzender, Singender,
Herrlich gestaltet, gelockter Bewohner der Fluren,
Rauschender, Führer des Festes, Traubengekrönter,
Heiterer, Fruchtbarer du, Gigantenvertilger, du Lacher,
Rufer zum Ständchen, Schönlockiger, Bringer der Reben…
Und so weiter.
Kurz und gut: Es ist ein ästhetisches Vergnügen und ein Heidenspass, dies Buch zu lesen. Seine Spässe aber und damit das Buch selber sind nicht seelenlos. Hören wir nun noch weiter in es hinein, lassen wir uns verzaubern und versuchen wir mit dem Buchseelen-fänger in uns etwas von seiner Seele, schön wie ein Abendgewölk, zu erhaschen.“
Die Gottesmaschine, Clou Verlag, Egnach TG 1962
„… Auf eine solche Stimme darf man hören. Und man ist seltsam berührt dadurch, dass einer in seinen kurzen dichterischen Gleichnissen darauf kam, Gott zu beweisen, wie es jene Figur in Thorton Wilders ‚Brücke von San Luis Rey’ tat, der schicksalhafte Fügung in romanhaft geweiteter Erzählung und in tabellenartiger Notation zu beweisen sucht. Die knappe, klare, einfache Sprache von Kurt Hutterli wird man sicher wieder vernehmen. Sein Ernst, sein Anspruch gegenüber sich selber und gegenüber dem dichterischen Wort sind zu gross, als dass sie sich mit diesem Erstling begnügten.“ (r.g., Basler Nachrichten, 4. 1. 1963.)
„… Endlich wagt es ein Junger, wieder einmal wirkliche Dichtung zu geben, indem er eigenstes Erleben mit ganz unprätenziösen Mitteln darstellt. Hutterlis Gottessuche ist echt, ist unverfälschter Ausdruck eines Heutigen, und darum vermag sie zu fesseln. Zeichen der Ursprünglichkeit sind die schlichte, frische Sprache und die dem Lebensalter des Autors gemässe Bildsphäre. Das kleine Buch überzeugt und besticht, weil es bei aller jugendlichen Skepsis nie in pseudophilosophische Sarkasmen verfällt und weil es sich nicht mit unverdauter Begrifflichkeit wichtigtuerisch gebärdet. Es ruht in der Wirklichkeitsfülle, in der unbeirrbaren Sicherheit und Lauterkeit eines offensichtlich ‚Begabten’… (Adrian Wolfgang Martin, St. Galler Tagblatt, 10. 3. 1963.)
Blätter zur Acht, Steinklopfer Verlag, 1963
„Lieber Herr Hutterli
vor 8 Tagen hatte ich einen Brief für Sie angefangen um Ihnen zu danken für Ihre ‚Bätter zur Acht’ + für Ihren wirklich liebenswerten Brief. Aber ich bekam ob dem Schreiben den Eindruck dass ich mein Steuer falsch gestellt habe + solcherart die Einfahrt zu Ihren Versen verfehle. Inzwischen hatte ich diese wiederholt gelesen + ich habe Eingang gefunden + sie zu mir. Es geht mir mit Versen ähnlich wie mit Bildern wenn diese ungewöhnlich sind + vom Betrachter mehr als Sichtbares verlangen: ich warte die Eröffnung geduldig ab. Wenn sie dann doch ausbleibt so weiss ich dass am Werk etwas nicht stimmt. Ich muss Sie bitten sich damit zu begnügen dass ich sie gern immer wieder mir vornehme weil sie, die Verse, mich jedesmal anders ansprechen. Es war ein seltsames Zusammentreffen Ihres Büchleins mit Rilkes „Briefe an einen jungen Dichter“ welche ich zur gleichen Zeit geschenkt bekam. Vergleichendes liess sich nicht verdrängen. Aber Sie sind als Sieger aus dem Duell hervorgegangen. So wenig ich von Ihnen weiss, so haben doch die paar Minuten im Zwielicht des Hausflurs (Anm. K.H.: in Remagliasco) genügt Sie mir einzuprägen als aus anderem Holz geschaffen denn der intellektualistisch schreibende Franz Xaver Gappus, der Empfänger der Rilke’schen beschwörenden Briefe. Weiter kann ich Ihnen nichts mehr sagen als buona continuazione + Sie zu grüssen in freundlichem Gedenken.
Ihr Pauli“
(Fritz Pauli, Künstler, Cavigliano, 19. 11. 63.)
Krux, Clou Verlag, Egnach TG 1964 (datiert 1965)
„… Peter Bichsel trug einen Abschnitt aus einer grösseren unveröffentlichten Arbeit vor, worin er mit spielerischer Leichtigkeit eine Person konstruiert (‚Kiesinger’), einzelne Konturen derselben hervorhebt und rasch wieder verwischt. Damit demonstriert der Autor seine unbeschränkte Freiheit (und ist damit den Romantikern recht nah verwandt); ob freilich dieser Ton auf die Dauer trägt und zu ertragen ist, wird sich erst zeigen, wenn Bichsel seine Arbeit publiziert. Ein Romantik-Nachfolger ist auch der sehr junge Berner Kurt Hutterli, der in seiner neuesten Veröffentlichung ‚Krux’ (‚Eine Betrachtung über das Leben des Irren sowie das Ich-Buch und das Du-Buch desselben’) sehr dichterisch wirkt, wobei die Person des Irren eine Art von Vorwand für Dichtung darstellt. Die Erählung erreicht eine erstaunliche Geschlossenheit trotz des ziemlich heterogenen Aufbaus.“ (rw., Berner Tagblatt, 2. 11. 1966.)
„… Für seine Jugend hat also dieser Berner, der heute als Sekundarlehrer in Thun arbeitet, schon eine erstaunliche Produktivität gezeigt. Erstaunlicher als dies jedoch ist die Sicherheit, mit der er schon so früh seinen eigenen Weg geht. Er hat es nicht nötig, den ausgetretenen Pfad der modernen Experimentler und Kafka-Epigonen zu benützen. Kaum kümmert er sich darum, wie man heute zu schreiben habe und was denn zeitgemäss sei. Er braucht nicht Zerrissenheit – die Pose so vieler junger Autoren – zu demonstrieren. Ihm geht es um mehr als um Stilexperimente; für ihn ist Literatur ein ernstzunehmendes Mittel auf der Suche nach all dem, was die Menschen immer bewegt. In der sehr kurzen Lebensbeschreibung, die er uns schickte, erzählt er, wie um sich zu charakterisieren, von der Alphütte im Centovalli, die er mit seiner Frau in den Ferien ausbaut: ‚Wie schon meine Eltern und Grosseltern es getan haben.’ Dies, und auch die Tatsache, dass Hutterli wie in der vorliegenden Erzählung oft in die Vergangenheit zurückgreift, ist charakteristisch. Ob sich da, gerade bei einem so jungen Autor, nicht etwas abzeichnet, das aus der heutigen vielzitierten ‚Krise der Literatur’ hinausführen könnte?“ (Hedi Wyss, Die Frau, 28. 6. 1967.)
„Lieber Herr Hutterli. Wir danken Ihnen für Ihre guten Wünsche und das Büchlein ‚Krux’. Mein Mann hat es gleich gelesen & sich über das Barbara Bild Erlebnis (Anm. K.H.: Gemälde von Fritz Pauli) & die Centovalli Schilderungen gefreut. Sam (Anm. K.H.: Sam Baumann, Lebenskünstler, auch erwähnt in ‚Die Centovalli’) haben wir auch gekannt, in den Jahren vor dem zweiten Krieg, als er als Gärtner mit einem Reif im Haar ins Pedemonte kam. Später hörten wir nur noch von ihm – Ich selber habe Ihr kleines Werk sehr genau gelesen. Es ist ein rechtes Stück jungen Lebens, man spürt, dass Sie die Erlebnisse durch Steigerung von hell & dunkel verdichten wollen, ohne die Wahrheit zu verletzen. Es ist das gleiche Bemühen, wie Pauli es in seinen graphischen Blättern anwendet.“
(Elsi Pauli, Frau des Künstlers Fritz Pauli, Cavigliano, 17. 11. 1965.)
Das öniesische Album, 1967, unveröffentlicht
„… Nach der Lektüre interessiert mich der Autor Kurt Hutterli, auch wenn ich, um das gleich zu gestehen, eine Möglichkeit zur Situation des ‚Öniesischen Albums’ hier noch nicht sehe. Es gibt so etwas wie einen Grundeinwand: wenn Sie als Autor hingehen und sagen: so, jetzt sind wir auf dem Stern Kastor gelandet und jetzt passiert folgendes, dann gibt’s keine Spielregeln mehr, dann ist alles möglich und dann wird alles unverbindlich. Verstehen Sie. Von Oenia weiss ich, es gibt es nicht. Gewiss, Sie entlarven die Realität als Fiktion; Sie tun es aber so kategorisch, dass mich diese Realität dann nichts mehr angeht; der alte Konflikt. Sie werden anders denken. Mir bleibt, Ihnen zu sagen, dass Ihre Art von hintersinnigem Sprachhumor, Ihre Weise, Dinge zu sehen und zu beschreiben und auch Ihr Sinn für Komposition, für Architektur mich beeindrucken. Wird an Ihrem Schreibtisch neues entstehen? Sie sollen wissen, wie sehr es mich interessiert…“ (Otto F. Walter, Schriftsteller, Lektor im Hermann Luchterhand Verlag, im Brief vom 28. 2. 1969.)
;aber, Zytglogge Verlag, Bern 1972
„ … Das kleine Prosagedicht hat eigentlich kaum lyrischen Charakter. Dennoch ist es ein richtiges Gedicht. Ein paar bildartige, kleine Geschehnisse fügen sich wie ein Mosaik zueinander und vereinigen sich zu einem Gedanken, einer Frage. Diese Frage rührt an das Tiefste. Dass sie hier auf so alltägliche Weise gestellt wird, so untrennbar mit der Trivialität von Erlebnissen verknüpft ist, die eigentlich die Erlebnisse von jedermann sein können, das macht den Reiz dieser Verse aus. ‚Susi ist tot’, dieser Lesefibelsatz birgt alles, was je in gelehrten Abhandlungen über die grossen Fragen des Lebens, über die Menschen und seine Bestimmung gerätselt wurde.“ (Hedi Wyss, Die Frau, 18. April 1969.)
„… Besonders hinweisen möchten wir auf Nummer eins der Reihe, die Prosagedichte von Kurt Hutterli enthält. Hutterli hat das Experiment um seiner selbst willen weit hinter sich gelassen. Seine Sprache ist reif genug geworden, auch ein vordergründiges Engagement zu überspringen. Poesie der Sprache wird glaubhaft und der Einfall überzeugt, weil er die Offenheit des Denkanstosses in sich birgt.“ (bg., Luzerner Neueste Nachrichten, 18. 11. 1972.)
„ ‚ Als ich so recht vollgefressen im Bett lag, / stieg ich ganz dünn aus mir hinaus / und machte mich davon.’ Diese drei Zeilen machen eines der kürzesten Prosagedichte des Berner Autoren Kurt Hutterli aus, die kürzlich in einem schmalen Bändchen veröffentlicht worden sind. Dennoch spiegelt sich in dem pointiert formulierten Satz ein nicht unbeträchtlicher Bezirk der lyrischen Welt, in der sich der junge Autor behutsam, aber mit sicherem Stilgefühl bewegt. Hutterli schreibt auf einfache Weise über unsere Welt, er hält südliche Impressionen fest, er beobachtet Menschen, sich selbst, innerhalb einer übertechnisierten Umgebung; spielerisch denkt er über den Tod nach, über Religion, über das Leben eines Kleinbürgers. Meistens tauchen dabei Einwände auf, Einwände, die das Vollgefressene, Aufgeblasene relativieren, die kritisieren, ohne zu verletzen. Bescheiden macht sich Hutterli auf den Weg, er macht sich davon, also weg vom kulissenhaft Äusseren, um neue, lebendigere Bezirke zu finden. Dabei stösst er jedoch auf Schwierigkeiten. Er kommt nicht los vom Normalen, vom Wohlgeordneten, in dem er verwurzelt ist, hinter dem sich aber das Chaos verbirgt. „Ich muss Wörter suchen, mit denen man bohren kann’, sagt er. Selten findet er jedoch ein solches Wort, denn seine Sprache ist zu sensibel, zu vorsichtig. Seine Aber-Sätze, die das Bestehende kritisieren, verdorren, nachdem der Autor einen ahnungsvollen Blick hinter unsere Maskenwelt geworfen hat. Aber gerade dadurch wird dieser Blick glaubwürdig. Hutterli versucht nicht voller Selbstbewusstsein, alles niederzureissen. Er begnügt sich damit, auf feinfühlige Weise in die Welt, in sich selbst hineinzuhorchen und dabei spielerisch, aber doch ernsthaft Schwächen anzudeuten, über die wir manchmal lächeln, wenn wir das vielleicht auch besser nicht täten. Die Gedichte Hutterlis eröffnen eine neue, vielversprechende Reihe, die unter dem Titel ‚zytglogge – test’ hoffentlich bald zu einem Begriff werden wird.“ (Thuner Tagblatt, 21. 12. 1972.)
„… Und mit dem Aber ist vieles gesagt. Kurt Hutterli ist ein nachdenklicher Mensch, der bei aller Lebenszugewandtheit hinter die Dinge sieht und hinter ihnen das grosse Aber feststellen muss. So unkonventionell wie das ganze Bändchen geben sich die Gedichte, die eigentlich Reflexionen zu unserem Dasein auf dieser fragwürdigen Welt sind. Das Kleinste, das Unscheinbarste wird ihm Ausgangspunkt zur Reflexion, und gerade darin, dass nicht die grossen Dinge und Vorgänge hervorgeholt werden, dass sie sich dennoch im Kleinen widerspiegeln, liegt das Reizvolle dieser Worte, die sich zu wirklichen Poesien verdichten…“ (Peter Mieg, Badener Tagblatt, 20. 1. 1973.)
Die Centovalli, Verlag Paul Haupt, Bern 1972
„Das ist wieder ein besonders erfreulich geratenes Heimatbuch. Der Textteil beschreitet neue Wege, die abweichen von den herkömmlichen, zusammenhängenden Beschreibungen… Der Bildteil ist herrlich lebendig und eindrücklich gestaltet: Häuser, Kaminfegergeräte, Bienenstöcke, Fresken, Landschaften und Leute.“ (Wildhaber, Schweizer Volkskunde, Heft 4, Basel 1973.)
„ … Hutterlis Verfahren könnte für die Darstellung manches Lokalforschers wegweisend werden. Er verzichtet auf Vollständigkeit, die bei der heutigen Fülle von Spezialliteratur doch nicht mehr zu erreichen ist, und wählt dafür jene Einzelheiten aus, welche seinen Gegenstand charakterisieren und den Leser ansprechen. Geschieht das mit so feiner Intuition wie hier, so fügen sich die scheinbar zusammenhanglosen Steinchen bald zu einem eindrücklichen, leuchtenden Mosaik.“ (B.J.,Der Bund, 8. 4. 1973.)
„Lieber Kurt Hutterli, welch schöne Überraschung! Ich danke Ihnen herzlich für das schöne Buch ‚Die Centovalli’, das ich noch nicht kannte. Ihre Fotos sind sehr professionell und eindrücklich, im Text habe ich erst ein wenig geschnüffelt und mich an Originalitäten wie ‚Korkapfel’ amüsiert. Ich werde Ihr Buch meinen Freunden empfehlen. Schade, dass auch in den cento valli nicht alles beim Alten bleibt – aber das muss wohl so sein. Herzlich grüsst Sie Sams Freund.“ (Anm. K.H.: Sam Baumann, Lebenskünstler, erwähnt in „Krux“ und in „Die Centovalli“ und im Brief von Elsi Pauli, Frau des Künstlers Fritz Pauli, 17. 11. 1965)
(Heiner Hesse, Arcegno, 22. März 1991; auf dem Umschlag Hinweis auf die Ettore Jelmorini – Ausstellung im Museo von Ascona.)
(Anm. K.H.: Zu Ettore Jelmorini: Gedicht „Lehrmeister“ in „Ein Hausmann“, Zytglogge Verlag 1980 und Passagen in „Das Centovalli Brautgeschenk“, Waldgut 2004.)
Herzgrün, Zytglogge Verlag, Bern 1974
„Vor zwei Jahren hat Kurt Hutterli erstmals ‚Prosagedichte’ veröffentlicht; nun legt er unter dem Titel ‚Herzgrün’ ein ‚Schweizer Soldatenbuch’ vor. Die Versicherung des Verlags, dass der Autor schon lange vor Max Frisch an seinen militärischen Erinnerungen geschrieben habe, wäre entbehrlich gewesen, ist doch hier, trotz der thematischen Verwandtschaft, etwas ganz anderes entstanden als jenes ‚Dienstbüchlein’. Es handelt sich um den erstaunlich realistischen, tagebuchartigen Bericht über eine Rekrutenschule. Am meisten fällt daran auf, wie wenig der Autor in jenen aggressiven Tonfall gerät, den man heute von einer kritischen Darstellung unserer Armee fast zwangsläufig erwartet. Es mag mit den spezifisch unmilitärischen Verhältnissen in einer Sanitätstruppe zusammenhängen, die hier geschildert werden, dass diese Beschreibung oft so idyllisch, so unbeschwert und übermütig wirkt. Aber die Gabe zu scharfer Beobachtung, die darin immer wieder erkennbar wird, führt bald zur Einsicht, dass diese Unbeschwertheit nur eine scheinbare sein kann. Sie ist Ausdruck einer viel sensibleren und letztlich auch viel überlegeren Kritik, die immer dann fassbar wird, wenn das realistische Geschehen plötzlich einer zunächst noch als Übermüdungsphantasie deutbaren Verwandlung unterzogen wird, die zu humoristischen Spielereien von schmerzlich-bedenkenswertem Sinngehalt führt.“ (M.K., Neue Zürcher Zeitung, 4. 2. 1975.)
„… Rekrut Erpf (alias Hutterli) sah natürlich das, was jeder Schweizer, der einmal im feldgrauen Gewand steckte, auch gesehen hat. Die Ehemaligen erkennen sich und Kameraden in Hutterlis lebensnaher Schilderung ohne Zweifel wieder (ich habe mich vergewissert). Sie erkennen sogar mehr: Hutterlis sprachliche Militärlandschaft (Soldatenjargon, Befehlston, feldgraue Witzigkeit) ist gleichsam fönklar. Der Dunst, der Hohlheiten sonst milde verschleiert, ist weggefegt, üblicherweise vernebelte Zusammenhänge liegen offen da. Damit aber nicht genug, Rekrut Erpf hat abgesehen von der Klarsicht auch noch Visionen. Grauenvolle: ‚Es regnete ins Sägemehl und auf die Aschenbahn. Ich sah einen zerfetzten Grenadier. Ich sah ein Hirn voll Sägemehl und Fleischfetzen auf einer Aschenbahn, wie paniert.’ Manchmal witzige: ‚Ich sah eine Zeitungsmeldung: Oberst verlegt in der Nacht seine Truppen. Grossangelegte Suchaktion bisher erfolglos.’ Grell sind diese Brechungen, diese Verfremdungseffekte, mit denen Rekrut Erpf sich und den Leser immer wieder davor bewahrt, einer trügerischen Soldatenromantik zu erliegen. Einförmig wirken sie – manchmal auch etwas plump – in ihrer stets gleichbleibenden Form mit ‚Ich sah…’ Sowohl das Grelle als auch die stereotype Form haben ihren Sinn: Sie bilden Kontrast. Sie sind Winke mit dem Zaunpfahl, aber so können sie jedenfalls nicht übersehen werden. Und das ist wesentlich, denn diese Einsprengsel sind Signale von Hutterlis Auseinandersetzung mit der Armee. Es ist eine Auseinandersetzung ohne Polemik, ohne Flucht in Schlagwörter, ohne den sicheren Hort von Glaubenssätzen. Solche werden bis zum Schluss keine aufgestellt. Es werden bloss Fragen aufgeworfen von einem, der zum Militär erst einmal ‚ja, aber’ gesagt hat und der sich auf seine Weise den Ausspruch eines schweizerischen Instruktionsoffiziers zu Herzen nahm, der da lautet: ‚Hauptsache, das Herz ist grün.’“ (Margrit von Dach, Tages-Anzeiger Zürich, 21. 3. 1975.)
„Das, was der Verfasser Kurt Hutterli im Untertitel ‚Ein Schweizer Soldatenbuch nennt, ist weder eines der berüchtigten Roten Büchlein noch offiziell, sondern es ist gemäss Haupttitel ‚Herzgrün’ und ein ebenso schlichter wie objektiver Erlebnisbericht eines Rekruten, der zwar die militärische Form des Gehorchens lernt, dabei aber selbständiges und auch kritisches Denken nicht verlernt. Und oh Wunder! Das Büchlein ist nicht nur ernsthaft kritisch, es ist auch sorgsam kritisch und – bei allem Ernst – heiter. Das zweite Wunder ist, dass hier ein Mann sich aus der Perspektive des Bürgers und Rekruten mit der Armee auseinandersetzt, ohne sich auf unverrückbare persönliche Glaubenssätze zu stützen, ohne es sich in der Auseinandersetzung mit Schlagworten leicht zu machen und ohne dort, wo es heikel wird, in die Polemik zu flüchten. Im übrigen wird jener Leser sein Vergügen haben, der imstande ist, oft manches Unausgesprochene zu lesen aus der blossen Wortwahl oder aus dem Stil des Verfassers.“ (J.Lektor, Nebelspalter Nr. 22, 28. 5. 1975.)
Als Kontrast: „ Mit den Worten des Autors: ‚Herzgrün’ zeigt die innere und äussere Wandlung von Hans Erpf, der in einem Rekrutenaufklärungsbataillon zum Sanitätssoldaten heranreift und dabei Bilder sieht, die nicht ganz den Illustrationen des Soldatenbuchs entsprechen. Diese ‚Bilder’ die nicht ganz dem Soldatenbuch entsprechen’, betreffen zwei verschiedene Dimensionen. Die eine ist diejenige der unzähligen Verrichtungen und Begegnungen des Rekrutenbetriebs, der Realitäten des militärischen Alltags, wobei die auftretenden Vorgesetzten aller Grade bloss immer eine bis mehrere Nuancen zu geistlos, zu stur, zu eitel usw., die Rekruten immer die phantasievolleren, witzigeren, beweglicheren usw. sind. Eine „Läppliade’ also, nur nicht deftig und dümmlich, sondern vielmehr differenziert, von feiner Beobachtung, Sinn für Humor und sicherem Ausdruck, doch nach probaten Rezepten darauf bedacht, auf Kosten der Armee einen billig zu habenden Effekt zu erlangen? Wäre es dies, dann könnten wir zur Tagesordnung übergehen. Die Armee – und sogar der Informationsdienst des EMD – müssen Spass ertragen können, ja sogar für kritische Hinweise dankbar sein, wie die militärischen Einrichtungen und Verhältnisse im Rahmen des verfassungsmässigen Auftrags der Armee verändert, lies: verbessert werden können. Doch ist da noch die zweite Dimension. Sie wird durch eine Art visionärer Erscheinungen geschaffen, die sehr gekonnt in den militärischen Alltag der Sanitätsrekruten eingeblendet werden: zumeist Schlachtfelder, Soldatengräber und Konzentrationslager, Leiden und Sterben, Blut und Tod. Die dadurch bewirkte Projektion von Armee zu sinnloser Zerstörungt führt zwingend zur – anvisierten? –Folgerung von Sinnlosigkeit und Unsinn alles militärischen Tuns, begonnen beim Sanitätssoldaten Erpf. Es wären ja unter dessen Visionen mit mindestens gleicher Berechtigung solche von der seit über hundert Jahren bewährten friedenssichernden Wirkung der schweizerischen Armee denkbar gewesen. Solche aber kommen keine vor. ‚Ja’ und ‚aber’ stehen offensichtlich nicht im Gleichgewicht. Das Buch dürfte jener Literatur zuzuordnen sein, die sich ‚kritisch’ gibt, in Wirklichkeit aber negativ ist. Den Titel entnimmt der Verfasser einem als Motto vorangestellten – unkontrollierbaren – Ausspruch eines Instruktionsoffiziers: ‚Hauptsache, das Herz ist grün.’ Und der Untertitel, das ‚Soldatenbuch’? Da könnte man sich auch eine Vision vorstellen, die dieses „Soldatenbuch’ in die Gegend gewisser ‚Soldatenzeitungen“ (‚offensiv, eine Zeitung von Soldaten für Soldaten gemacht’) oder ‚Soldatenkomitees“ rücken, die alle mit Soldaten nichts zu tun haben, ausser dass sie dagegen sind.“ (Sbr, Allgemeine Schweiz. Armeezeitung ASMZ, März 1975.)
„… Kurt Hutterli, Jahrgang 44, hauptberuflich Lehrer, ist in der Schweiz längst kein Unbekannter mehr. Mit mehreren Prosagedicht-Bänden und Schulstücken versuchte er – eher verhalten denn agitatorisch – jene noch lebendigen Bezirke auszuloten, die hinter der Kulisse von Banken, Fremdenhass und gepflegter Neutralität von einer ganz anderen Schweiz künden. Kritische Heimatgedichte, wenn man will, deren Sehnsucht nach einer humaneren Gesellschaft freilich nicht vor den eidgenössischen Grenzen halt macht. Auch seine Paraphrasen zum ‚Schweizer Soldatenbuch’, mit dem idyllischen Titel ‚Herzgrün’, dienen als Bestandesaufnahme einer militärischen Mentalität, die wohl multinationalen Charakter hat… Soldatenleben – für den 30-jährigen Wehrdienstler Kurt Hutterli ein Alptraum in der grasgrünen Leihuniform. Anders als sein grosser Schriftstellerkollege Max Frisch, der in seinem „Dienstbüchlein’ fast nostalgisch über die Wohltat militärischen Gehorsams meditiert, will Hutterli die Zweiteilung der Welt in eine der Offiziere und eine andere der Rekruten partout nicht akzeptieren. So resümiert er ironisch und sehr skeptisch den militärischen Alltag vom Morgenappell bis zur Kunst des richtigen Winkels beim Käppi, hört er hellhörig den schiefsitzenden Patriotismus aus den Unterweisungen der Ausbildner heraus, die Heldenblut und Schweizer Glut so talentiert reimen, wie Gottfried Keller seine vaterländischen Gedichte. Hutterli verschiesst kein simples, agitatorisches Feuerwerk. Er erfindet keinen uniformierten Buhmann aus purer pazifistischer Oppositionslaune – der findet sich in dem prosaischen Quartier- und Felddienst-Report ganz von selber. Hutterli verkneift sich auch jede Schlussfolgerung, er bietet keine Alternative… Ohne Übertreibung, ohne künstliche Scharfmache beschreibt Hutterli eine hosenstramme Mentalität, die ständig Hymnen aufs untertänige Pflichtbewusstsein anstimmt und selbst bei friedlichen Lerchenschwärmen über satte Kornfelder an polternde Granatgewitter denkt. So tröstlich die Umweltprognose mancher Zukunftsblicker auch sein mögen, wonach bei der weltweiten Betonierungswut immerhin noch die militärischen Schiessplätze als Grünflächen übrigblieben – Hutterli verursacht solche Aussicht wahres Grauen. Auch wenn die Schweizewr Armee zum Glück nur selten geschossen hat, so tat sie es doch ausgerechnet beim Generalstreik 1918 und bei der grossen antifaschistischen Kundgebung 1932 aus vollen Rohren. Doch auch ohne solche Reminiszenzen bietet Hutterlis Buch einen streckenweise höchst witzigen Begleitkommentar zur offiziell vefügten soldatischen Erbauungsprosa…“ ( Aus einer „Herzgrün“- Sendung von Radio Rias Berlin, 1975.)
Kurzwaren 1, Zytglogge Verlag, Bern 1975
„Kurt Hutterli ist ein scharfer Beobachter und Stilist, er ordnet seine Erfahrungen sorgfältig ein, unaufdringlich und knapp, ohne Aggression und Ablehnung. Das galt für sein Soldatenbuch, in dem ein Rekrut in die Armee eingegliedert wurde, das fasst er kurz in überlegene Aphorismen (‚Nicht jeder Schweizer, der im Gebüsch verschwindet, ist ein Wilhelm Tell’.). Sein Engagement ist ebenso heftig wie diszipliniert, die Sprache mühelos, das Ergebnis treffend und unpathetisch.“ (K., Berner Tagblatt, 31. 1. / 1. 2. 1976.)
felsengleich – Materialien zum Grindelwaldner Treffen der Gruppe D, Zytglogge Verlag, Bern 1976
„’Ich stelle mir junge Schweizer vor, die das Schweizertum erörtern wollen. Ich schicke sie für eine Woche in die Berge, nach Grindelwald, gebe ihnen ein paar Schriften mit, die ich in den letzten Jahren antiquarisch gekauft habe; ich lasse sie schreiben, phantasieren und diskutieren.’ Das ist der Ausgangspunkt von Kurt Hutterlis ‚felsengleich – Materialien zum Grindelwaldner Treffen der Gruppe D’. In der Form der (ironisierten) Dokumentation einer jener allseits so beliebten ‚Arbeitstagungen’ präsentiert der Autor eine Fülle von Texten, von Auszügen aus teils mit ernsthafter, teils mit parodistischer Absicht zitierten unterschiedlichsten Quellenwerken, aber auch von fingierten Diskussionsbeiträgen von Teilnehmern gegensätzlichster Herkunft und (politischer) Gesinnung. Das Buch enthält zahlreiche bald witzige, bald bedenkenswerte erzählerische wie sprachspielerische Details, die sich freilich nur sehr bedingt zum geschlossenen Ganzen fügen. So hohe Anerkennung die fast scheue Zurückhaltung davor verdient, in einschlägiges Ideologisieren zu verfallen – sie führt bei einem dermassen strapazierten Thema oft zu diffuser Unklarheit und zu manchen Gemeinplätzen. Manchmal ist kaum mehr auszumachen, ob ein Beitrag zum Gespräch nun der Meinung des Autors entspricht oder eine ihr entgegengesetzte Meinung entlarven soll, ob ein Quellentext – stamme er aus einer alten Chronik oder aus einem Führer durch die Alpenflora, handle es sich um einen Fabrikuntersuchungsbericht des vergangenen Jahrhunderts oder um ein heutiges Gedicht – ein ernsthaftes Engagement vertreten oder als Intellektuellenspass dienen soll. Zu vieles und zu Unterschiedliches, das schon für sich genommen ein abgeschlossenes Ganzes ergeben könnte – von der ausführlichen Beschreibung des Goldauer Bergsturzes bis zu derjenigen der Karriere eines italienischen Fremdarbeiters, der um die Jahrhundertwende in unser Land kommt -, ist hier unter einem Thema zusammengefasst, das, so allgemein genommen, vage und unverbindlich wird. Und bezeichnenderweise überzeugen gerade jene Abschnitte am vorbehaltlosesten, welche das Thema – schweizerisches Selbstverständnis heute, gespiegelt im Verhältnis ‚progressiver’ Künstler zu den Bergen – in einem engeren, pointierten Sinn verstehen: Glänzend etwa die Schilderung der ‚Swiss mountain art’-Woche, wo modische Konzept- und Aktionskunst auf ebenso amüsante wie beziehungsreiche Art verspottet wird.“ (Martin Kraft, Neue Zürcher Zeitung, 18. 11. 76.)
Die Stelle: „…bis zu derjenigen der Karriere eines italienischen Fremdarbeiters..“ bezieht sich auf das Kapitel „Das Schweizer Märchen vom steilen Aufstieg des Primarlehrers B.“ Bei B. handelt es sich um den späteren italienischen Diktator Benito Mussolini, der von der Universität Lausanne 1937 zum Ehrendoktor der Sozialwissenschaften ernannt wurde. Fünfzig Jahre später (und elf Jahre nach Erscheinen von „felsengleich),“ 1987, öffnete das Rektorat das Dossier und publizierte ein „Weissbuch“. K.H.
„Kurt Hutterli demonstriert, was aus Seldwyla nach hundert Jahren geworden ist. Heute heisst der sonnige Ort in einem anmutigen Tal Grindelwald, und Hutterlis Buch ist eine Lektion in Heimatkunde, eine Lesemappe in erster Linie für Schweizer. Nur sie werden gut genug Bescheid wissen, um die gehörige Entrüstung empfinden oder den schuldigen Beifall spenden zu können. Doch bleibt auch der Tourist und unkundige Ausländer nicht unbelehrt, er kann sich seine Klischees von Edelweiss, von Kühen und Käse, von dem wehrhaften Volk der Hirten und Hoteliers, dem Asyl berühmter Emigranten korrigieren und zerstören lassen. ‚felsengleich. Materialien zum Grindelwaldner Treffen der Gruppe D’ heisst das Buch. Es werden darin patriotische Erbstücke begutachtet, ‚CH-Dokumente’ kommentiert und Gutenachtgeschichten von dem erzählt, was sich nicht dokumentieren lässt. „Ich stelle mir junge Schweizer vor, die das Schweizertum erörtern wollen. Ich schicke sie für eine Woche in die Berge, nach Grindelwald, gebe ihnen ein paar Schriften mit, die ich in den letzten Jahren antiquarisch gekauft habe; ich lasse sie schreiben, phantasieren und diskutieren.’ So ist dieses ungewöhnliche Buch konzipiert. Hutterli, ein Mann, der sein ‚Pazifistenherz am linken Fleck’ trägt, hat in der ‚Felsundeisideologie’ sein anstössiges Thema gefunden: ‚Das ist das Grindelwald der pseudopatriotischen Retouchierkünstler, der Stehnwirdenfelsengleichhelden und Alpenfirnglüher, der Wobergesicherhebenrassisten, der Edelweissen und Schweizerkreuzmissionare, die gerettete Fremdenseelen berghimmelwärts fahren lassen, sobald das Geld im Kasten klingt.’ Hutterli holt die Vergangenheit der liberalen Bürger hervor, erinnert an die ‚Alpgenossenschaften’ – ‚urschweizerisches Gedankengut’ -, die man heute als marxistisch verschreien würde. Er untersucht, welche Rolle die Berge im Denken der verschiedenen Epochen gespielt haben; zuerst sind sie das Symbol für den bürgerlich-demokratischen Zukunftsstaat, dann das Zeichen der schweizerischen Eigenständigkeit, schliesslich auch die Zuflucht ausländischer Revolutiuonäre. Hutterli ist kein ideologischer Dogmatiker, er versteht sich als Ketzer seiner Ideologie. Dafür wird immer wieder die Kunst der Prüfstein: ‚Linkssein an sich bewahrt noch nicht vor Phantasielosigkeit. Es gibt geistige Enge, Humorlosigkeit, Stur- und Verknorztheit auch in Rot. Kunst ist ein freies Gewächs; dass sie ab und zu nebenaus wuchert, ist noch lange kein Grund, sie nur in Spalierform zu genehmigen.’ Hinter diesem witzig-polemischen Kompendium steckt ein politischer Aufklärer, der auf den Augenschein der Fakten vertraut.“ (Josef Quack, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. 12. 1976.)
„Dur comme le roc. En allemand: „Felsengleich“. C’est le titre d’un livre de Kurt Hutterli, récemment paru aux éditions Zytglogge à Berne. Le soutitre est plus explicite: ‚Matériaux réunis en vue de la rencontre du groupe D à Grindelwald’. C’est un type de livres comme il en existe quelques-un dans le domaine allemand, mais dont il n’existe guère de pendant en français. „Je me représente, écrit l’auteur dans ses premières pages, quelques jeunes Suisses désireux de s’expliquer le concept de Suisse (Schweizertum – la suissité). Je les envoie pour une semaine dans les montagnes, à Grindelwald, munis de quelques brochures que je me suis procurées ces dernières années dans des librairies d’occasion; je les fais écrire, rêver, discuter.’ A l’occasion d’une de ces sessions de travail aujourd’hui si à la mode, l’auteur propose une foule de textes et d’extraits, tantôt d’une manière sérieuse, tantôt dans une intention parodique, qu’il intègre souvent dans l’argumetation imaginaire de l’ un ou l’autre des participant – participants qui viennent d’horizons sociaux et politiques bien différents. L’idée est ingénieuse. Les documents vrais rayonnent leur vérité et donnent au récit les allures du vécu. Mais il subsiste des difficultés redoutables: souvent on se demande si une contribution à la discussion – extrait tantôt d’une chronique historique du XVIe siècle, tantôt d’un prospectus de meubles du siècle passé, tantôt d’un guide à travers la flore alpine – représente la pensée de l’auteur, ou celle du personnage, ou ne représente qu’un rapport de hasard à un jeu verbal ou intellectuel. C’est d’ailleurs l’intention satirique qui aboutit ici aux meilleurs résultats, spécialement sur le thème de l’identité helvétique vue à travers la prise de position des artistes ‚progressistes’ par rapport aux montagnes. La moquerie est particulièrement étincelante dans les pages qui évoquent la Semaine Swiss mountains art, où les postulats à la mode relatifs au concept de l’art sont franchement mis à mal.“ (sps, Journal de Genève, 12. 3. 1977.)
Die Faltsche, GS-Verlag, Bern 1977:
„Der Gemeinderat der Stadt Bern verleiht Herrn Kurt Hutterli einen Buchpreis für seine Erzählung ‚Die Faltsche’ (Faltsche – aus dem Italienischen eingedeutschte Bezeichnung für Hippe). Dieses Werkzeug steht darin sinnbildlich für den Drang des Helden in dieser Geschichte, in den Dingen, Ereignissen und Menschen seiner Umwelt, die ihm in all ihren Erscheinungsformen eingekapselt und verschlossen erscheinen, den eigentlichen Kern zu eröffnen. Mit einem reichen, assoziativ um das Begriffspaar Schale und Kern kreisenden Bilder- und Gedankenschatz, der mehr ist als eine reizvolle Sprachspielerei, gelingt Hutterli ein Erzählstil, der sowohl angriffig-einfach wie auch poetisch ist, gut lesbar und gedanklich anregend. Man wünscht sich von Hutterli mehr von dieser Art.“ (Preis-Urkunde, 7. 6. 1978.)
„Kurt Hutterli, der Berner, der zu den Dichtern gezählt werden muss, auch wenn er Prosa schreibt, hatte seit seinen frühesten Veröffentlichungen einen eigenen Ton: er gehört zu den Eigenwilligen, die sich über alles Gedanken machen und die ihren Gedanken Form und Wort zu geben wissen. Das Gedankliche steht immer im Vordergrund, in dem Sinn, als es Ausgangspunkt zu den Äusserungen ist. Die dichterische Äusserung aber wird zum Bild, zum Sinnbild, und die Kunst des Verwandelns macht denn das Besondere aus bei Kurt Hutterlis Büchern. Das jüngste, ein schmaler Band, ist so schwer einzureihen wie alle andern Bücher. Es ist keine Erzählung im üblichen Sinn, es ist keine Aneinanderreihung von Aphorismen, Erzählerisches und Aphoristisches finden sich gleichwohl auf diesen Seiten, die sich in knappe Abschnitte gliedern, die eine Frankreichfahrt des jungen Antons und seines Mädchens Madeleine als äussere Handlung aufweisen. Die Handlung, auch wenn sie einzelne Stationen wie Paris und die Banlieue, die Bretagne und Lourdes, auch wenn sie sie eine Reihe greifbarer Figuren nennen, ist weniger wesentlich als das Instrument, eben die Faltsche, dies gefährliche Werkzeug, mit dem der Held auszieht, um sich einen Weg durch das Gestrüpp zu bahnen. Die Faltsche, ein Gertel oder Buschmesser, kann spalten, und Anton in seinem Drang nach Erkenntnis möchte alles spalten, um zum Kern vorzudringen. Beim Spalten aber kann man nicht nur erkennen, sondern auch zerstören. ‚Anton, du hast den Beweis, es braucht keine Faltsche, es braucht Geduld. Man muss warten können, bis der Kern durch die Verschalung tritt. Vielleicht glaubst du es uns eher im poetischen Bild. Man hat dir als Kind gesagt: in den Samen sind Blumen. Du hat die Sämchen aufgeschnitten und eine Enttäuschung erlebt. Du hast nicht gewartet, bis der eingesenkte Kern durch die Schale gedrungen war und sich entfaltet hatte. Geduld ist keine Faltsche. Geduld ist Verständnis für die Schale aus Liebe zum Kern. Geduld schneidet das Innerste nicht heraus. Geduld wartet, bis sich das Innerste offenbart. Die Faltsche aber ist Ungeduld. Sie spaltet die Schale und zerstört damit den Kern. Sie öffnet die Puppe und tötet den Schmetterling.’ So spricht der sich selber suchende Held zu sich selber, und dieser Grundklang von Philosophie und Religion kennzeichnet die besinnlichen, so beherzigenswerten Seiten des Dichters.“ (Mg., Badener Tagblatt, 4. 2. 1978.)
„Kurt Hutterli, Berner Lehrer und Schriftsteller, ist vor allem bekannt geworden durch seine Veröffentlichungen beim Berner Zytglogge Verlag. Sein neustes Werk ist im Verlag der Guten Schriften (Bern) erschienen. Im Vorwort vermerkt der Verlag: ‚Es ist unser Anliegen, nebst dem Herkömmlichen, dem Altbewährten auch neuere Autoren in unsere Reihe aufzunehmen und so unsern Lesern neue Sichten auf unsere Gegenwart zu erschliessen.’ Ein lobens- und unterstützenswertes Unterfangen. ‚Die Faltsche’ heisst der Titel des schlanken Büchleins. Was ist eine Faltsche? Im Lexikon findet sich dazu die Definition: Hippe, Gertel, in der Südschweiz gebräuchliches Werkzeug, das beim Entasten von Bäumen, bei der Zerkleinerung des Geästs und beim Ausputzen von überwachsenen Wegen eingesetzt wird. Das Wort wird von Kurt Hutterli im übertragenen Sinn gebraucht. Anton, der ‚Held“ der Geschichte, steht im unlösbaren Zwiespalt zwischen seinem Drang nach Erkenntnis und der Tatsache, dass es Bereiche gibt, die unerklärbar sind, ungeklärt bleiben müssen. Die Faltsche ist das Instrument der Erkenntnis, des Analysierenden. Sie schneidet, spaltet, öffnet, dringt zum Kern vor, legt bis zum Mark frei. Sie verhilft zu Einblick, Ausblick, Überblick. Aber der Preis ist hoch. Oft zerstört sie, zersetzt sie, die Liebe zum Beispiel oder die Seele eines Wesens. An einer Stelle heisst es: ‚ Die Faltsche aber ist Ungeduld. Sie spaltet die Schale und zerstört damit den Kern.’ Anton ist im Umgang mit der Faltsche noch unsicher. Er traut ihr nicht (das Wort ‚Faltsche’ hat die Klangassoziation zu ‚falsch’); er wendet sie oft bei falscher Gelegenheit an, dann wieder wird ihm die Gefährlichkeit dieses Werkzeugs ganz bewusst. Es wechseln in diesem stark gegliederten Text Stellen von poetischer Behutsamkeit mit solchen von grösster Grausamkeit. Eine der eindrücklichsten Passagen ist die Spaltung des Fernsehapparates: Hier spaltet Anton ‚Autos, lächelnde Mädchen, getarnte Soldaten, Clowns, Kugelschreiber, Mörder mit ihren Opfern, Waschautomaten, Kleinkinder, Präsidenten, Raketen, Micky Mouses, Ansager, Reitpferde, Gewichtsheber’, und all ‚die Hälften fügen sich zu einem verrückten Kaleidoskop von Zwitterwesen zusammen.’ Nur durch viel Erfahrung – zuweilen sehr schmerzlicher und sehr grausamer Art – wird er dem richtigen Umgang mit der Faltsche näherkommen.“
(Heinz Wegmann, Zürichsee-Zeitung, 10. 3. 1978.)
Ein Hausmann, Verlag Sauerländer, Aarau 1980
„… Wissen Sie übrigens, dass das neue Manuskript – wie ‚Herzgrün’ – durchdrungen ist von (sinnlicher) Menschenliebe, Lebensfreude, auf depressivem Hintergrund, was das Ganze nur intensiver werden lässt. Ich lese Ihre Prosa immer mit grossem Genuss!“
(Max Schmid, Lektor Ex Libris Verlag Zürich, 3. 1. 1979. )
„Hausmänner, eine neue Kategorie? Nachsichtig bis mitleidig belächelt von den echten, den männlichen Männern, ein Stachel im Bewusstsein unserer herr-lichen Gesellschaft. Der 1944 geborene Lehrer und Schriftsteller, der den Hausmännerstand aus eigenem Erdulden (?) kennengelernt hat, reflektiert in Gedichtform, Reisebeschreibungen und notizartigen Kurztexten über ein fixiertes Rollenverständnis, aus dem er in einer Art Selbstbefreiung auszusteigen versucht, auszusteigen aus überkommener viriler Dominanz. Im Militärdienst, von dem er berichtet, hat er den Mann kennengelernt, den er nun hüllenlos ans Licht der Erkenntnis zieht, angesichts von Tessiner Madonnen macht sich Hutterli Gedanken über ein fragwürdig-symbolträchtiges Wesen, der Mischung aus geduldiger Magd und Geliebter und schliesslich sucht der Verfasser in allgemeinen Betrachtungen, stets kurz und prägnant, nicht gerade schmeichelhaft, die Physis und Psyche des Männchen-Mannes zu ergründen – sehr demaskierend und wenig zimperlich. Ein hintergründiges, vieldeutig-enttabuisierendes, eingängiges Bändchen, das der Rezensent mit wachsender Anteilnahme mehrfach gelesen und durchgeblättert hat und das er jedem (und jeder!) um emanzipatorisches Verhalten Bemühten dringend empfiehlt.“ (bg., „Bildungsarbeit“ in: Schweiz. Arbeiterbildungszentrale, Bern 1980.)
„Kurt Hutterli sieht im Feminismus die Herausforderung, sich mit seiner Rolle als Mann neu und gründlich auseinanderzusetzen. Er geht dabei von drei Sammlungen aus, die er sich im Laufe der Zeit angelegt hat. Die eine Sammlung umfasst Fotos von Tessiner Bildstöcken mit Madonnen, die zweite Notizen zu Militärdiensterlebnissen, also Unterlagen, die er jeweils in reiner Männergesellschaft zusammengestellt hat, und die dritte schliesslich vereinigt fotografisch und schriftlich festgehaltene Reiseeindrücke, die er auf Anzeichen männlicher Selbstbestätigung hin untersucht. Sein Nachdenken über Männlichkeit lässt ihn zum Feministen aus Eigennutz werden: Er nimmt die Emanzipation der Frau zum Anlass, aus der eigenen Rolle auszusteigen und sich als Mann auf ein ganzheitliches Menschsein hin zu befreien.“ (Berchtesgadener Anzeiger, 6. 9. 1980.)
„… Soeben ist dein buch ‚ein hausmann’ herausgekommen, und es fällt mir leicht, dir meine grosse freude daran zu übermitteln. Weniger leicht ist aber die aufgabe, daraus am radio vorzulesen, denn es ist naheliegend, dass sich gewisse kreise durch deine texte angegriffen fühlen können. Ich denke z.b. an die SVP und auch an militärische instanzen. Im voraus können reaktionen auf sendungen natürlich nie restlos abgemessen werden, jedoch dürfen wir mit der annahme spielen, dass verleumdungsklagen nur zu erwarten sind, wenn bei uns ein beweis-notstand vermutet werden kann. Ist es nun aber möglich, u.a. die aussagen eines delegierten der bernischen SVP: ‚man solle doch solche leute, die nicht schiessen wollten, einfach kastrieren’ zu beweisen, dann wären klagen wohl kaum zu erwarten, weil die dummheit damit nur noch mehr publizität erfahren würde. Ich hoffe, du verstehst mich: wir sollten mehr wissen über dein beweis-material, denn beschwerden und verleumdungs-klagen sind unangenehm. Das kirschen-essen mit leuten, wie du sie in deinem buch ins bild rückst, gerät leicht in die konsequent männliche formel: entweder rollt mein kopf – oder der andere. – und meinen kopf (auch nicht einen anderen körperteil) möchte ich natürlich nicht durch unvorsicht verlieren. Deshalb die frage an dich: hast du hieb- und stichfeste beweise, mit denen wir eventuelle angriffe hundertprozentig abwehren könnten? Was sind das für beweise, und könnte man diese nötigenfalls auf den tisch legen? Soweit meine ‚männlichen’ sorgen, in die ich kampfunlustiger träumer durch deine literatur geraten bin. Aber bitte, betrachte unsere absicherungsbemühungen nicht als kritik, betrachte sie als kompliment. Dein buch empfinde ich persönlich als etwas vom ehrlichsten und wertvollsten, was in letzter zeit geschrieben wurde. Geniesse deinen urlaub und lass bitte von dir hören!“ (Georges Wettstein, Schweizer Radio DRS, Abteilung Wort, Studio Bern, in einem Brief nach Vassor, Finnland, 21. 10. 1980.)
Finnlandisiert, Verlag Sauerländer, Aarau 1982
„ Aufzeichnungen eines Mannes, der längere Zeit in Finnland war und dies Land ohne Vorurteile durchstreifte. Die Texte (einige sind im ‚Kleinen Bund’ abgedruckt worden) sind genau, gelegentlich naturforscherhaft und dann und wann so frisch und spontan, dass der Leser entzückt ist. Das Büchlein ist belebend wie ein frischer Trunk oder, wenn man so will, wie eine Dusche aus unverseuchtem Wasser. Das erreicht der Autor nicht zuletzt, weil er Naturbilder immer mit neuen Augen anzuschauen versteht.“ (E.H.St., Der Bund, 10. 4. 1982.)
„…Auf ein Stichwort folgen jeweils nur ganz wenige Sätze – oft nur ein einziger -, welche in prägnanten Beobachtungen von oft (tatsächlich oder nur scheinbar) Nebensächlichem das ganz andere und damit das Wesentliche eines uns doch eher noch fremden Landes zu erfassen suchen. Doch der Autor entdeckt dabei nicht so sehr nur eine neue Welt, sondern in ihr vielmehr auch sich selber. Ganz unsentimental erobert er sich, Schritt um Schritt, allmählich eine ursprüngliche Lebensweise zurück, die sich neu im Einklang mit den Kräften der Natur weiss. Doch verkennt er dabei nicht die von der eigenen Herkunft und (Ver-) Bildung gesetzten Grenzen – und ebensoweig die neuzeitlichen Veränderungen, die auch dieses Land erlitten hat.“ (Schweizer Feuilleton-Dienst, 27. 7. 1982.)
Elchspur, Zytglogge Verlag, Bern 1986
„ Vassor, der kleine Fleck auf Erden, scheint mir von der Weltkarte endlich ganz gestrichen worden zu sein, seitdem ihr von dort weggezogen seid. Ich war kürzlich in Helsinki und erzählte einem Bekannten von Vassor. Es dünkte mich sehr seltsam, dass er erstaunt fragte: ‚Vassor – was ist das?’ Stellt euch vor – ein Finne – und weiss nicht, was Vassor ist! Aber mir wird es bald ähnlich gehen. Als ich die Sachen abholte, war vom Schuppen das Dach eingestürzt. Erik erzählte, dass er beim Sturm die Schuppentür aufgemacht hatte und der Sturm war in den Schuppen eingedrungen. Jetzt streitet er natürlich mit der Versicherungsgesellschaft darüber, ob es ein Unfall war. Er muss von der Wetterstation Ausküfte über die Windstärke am erwähnten Tage einholen usw. Das nächste Mal macht er vielleicht die Schulhaustür beim Sturm auf – dann gibts auch das Schulhaus nicht – Vassor endgültig adieu. Die einzige Chance für Vassor zu überleben ist, dass Du Kurt es in deinen Werken verewigst!!!“
(Lauri Hakamies, Neurologe in Vaasa, Finnland, in einem Brief; 1981.)
„Nichts als eine Elchspur hinterliess Robert Jöhr. War es ein raffiniertes Verbrechen, ein spektakulär vertuschter Suizid, oder hatte sich Jöhr ganz einfach der Welt der Wirklichkeit entzogen? Auf der Suche nach Zukunft, nach dem Geheimnis des Nordens, gebannt von der Ausstrahlung finnischer Landschaft? Der Zoologe Robert Jöhr will längere Zeit im Norden verbringen und Elche beobachten. Ausserdem hofft er, nach der Trennung von seiner Frau, in der Einsamkeit mit sich selbst ins Reine zu kommen. Kurt Hutterli, der Finnland von mehreren Reisen und Aufenthalten her kennt, zeichnet Jöhrs finnischen Alltag, sein Vertrautwerden mit den Nachbarn, sein Eintauchen in die Natur mit einer Genauigkeit nach, die äussere und innere Landschaft plastisch werden lässt.“ (Finnland Magazin 30, Herbst 1986)
„ Der Schweizer Zoologe Robert J. schützt ein Buchprojekt über Elche vor, in der Abgeschiedenheit Finnlands über seine gescheiterte Ehe und die ihm zugedachte Stellung in der Gesellschaft nachzudenken. Aber ganz allein mag er nicht bleiben. Bereitwillig lässt er sich vom wunderlichen Mika und dessen Freunden umsorgen. Durch diese Kontakte und eindrückliche Naturerlebnisse identifiziert er sich immer mehr mit der urtümlichen, versponnenen, ja märchenhaften finnischen Welt. Was die anderen zuerst scherzhaft ‚Verelchung’ nennen, wird tragische Wirklichkeit: R. wählt als Ausweg aus dem sinnlos gewordenen Leben nicht den Freitod, sondern die Verwandlung in einen Elch.
– Tagebuchnotizen, Landschaftsbeschreibungen und Alltagsszenen fügen sich zu einem – auch sprachlich – harmonischen Lebensbericht zusammen, dessen Ausgang kafkaesker Surrealität nahekommt.“ (Schweizer Bibliotheksdienst, 1986.)
„Finnlandromantik – einmal verdaulich. Telefonbücher lassen sich bekanntlich deswegen schlecht wie Romane lesen, weil sie zu viele Personen und zu wenig Handlung haben. Ähnlich ist es mit Büchern über das einfache Leben, die oft als Romane konzipiert sind: zu viel Natur, zu wenig Handlung. Seiten und Seiten begeisterte Naturschilderung, da bleibt nicht viel Lesespass übrig. Jetzt hat uns der schweizerische Nachbar Kurt Hutterli gezeigt, dass es auch anders geht. Sein Roman ‚Elchspur’ enthält sehr viel Natur- und Zustandsschilderung, ist aber dennoch lesbar geblieben und bringt uns das Landleben in Österbotten, am Bottnischen Meerbusen, auf geradezu charmante Art nahe. Die Handlung ist schnell erzählt: Ein Zoologe aus der Schweiz, etwa 40 Jahre alt und Hauptmann der Reserve – im Buch immer Robert J. genannt – kommt nach Österbotten, weil er dort ein primitives Haus gemietet hat und ein Buch über Elche schreiben will. Oder will er in finnischer Einsamkeit Claudia vergessen? Robet lernt von Woche zu Woche besser Mika kennen, einen vorzeitig pensionierten Bibliothekar. Zwischen beiden entwickelt sich eine Männerfreundschaft, die Hutterli so natürlich in die österbottnische Landschaft stellt, dass er nirgendwo andeuten muss, zwischen den beiden spiele sich natürlich nichts ab. Die Schilderungen der Natur – besser: des kleinen Geschehens in der Natur – wirken bunt nur in ihrer vermutlich wohldurchdachten Länge. Ein Happen kann allerhöchstens Appetit machen. Hier ist er: ‚Mika sagte, bei diesem tiefen Wasserstand könnten sie gut zu einer grösseren Insel hinüberwandern, die schmale Landbrücke sei wohl im Moment nicht einmal besonders sumpfig. Sie gingen zuerst einen sandigen Acker entlang, ein Kiebitzmännchen flog Imponierkapriolen. Später schritten sie über verfilztes Wiesland. Wehmütig gedehnte Brachvogelrufe lösten sich in hellen Trillern auf. Robert und Mika sprangen über einen schmalen Entwässerungsgraben, kamen auf einen Weg, der sie durch einen dichten Waldstreifen an den Meeresarm hinunterführte. Der Schnee hatte den Schilfsaum zu einem grauen Teppichboden gepresst. Nur ein paar zerzauste Rohrkolben hatten den Winter ungebrochen überstanden. Elchspuren im lehmigen Boden der Landebrücke…’ Wer sich für dieses Buch die Musse nimmt, der wird eine Seite von Finnland kennenlernen, wie man sie als Urlauber und sogar Langzeitgast kaum erlebt. Und überdies schildert Hutterli manche Dinge mit ein paar Pinselstrichen eines Humors, der sich dem Leser leicht öffnet, aber niemals aufdrängt. Der Roman – wollen wir das Buch ruhig so nennen – endet mit einer Überraschung. Dem Rezensenten kam sie zu plötzlich, darum nicht motiviert, nicht überzeugend genug. Da hat der Autor einen sehr originellen Gedanken weit unter Preis verkauft. Oder war es so, dass der Verleger nicht mehr mitspielen wollte? Etwa mit der Begründung: ‚Mehr als zehn Bogen (das sind 160 Seiten) gebe ich nicht her.’“ (Reinhold Dey, Deutsch-Finnische Rundschau Nr. 51, Dezember 1986.)
„Spurensuche im Norden. Kurt Hutterli ist dem Berner Publikum längst kein Unbekannter mehr: seine Dramen wecken jeweils das Interesse von vielen Leuten, wie die kürzliche Uraufführung des Stückes ‚Adern’ in der Toblerfabrik wieder gezeigt hat. Jetzt ist der neue Roman von Hutterli erschienen, auf den man nach der Lesung des Autors an den Solothurner Literaturtagen gespannt sein durfte. Für mich war es eine freudvolle Überraschung, dass Hutterli nicht selbstquälerisch-sentimental grübelnd und wühlend eine Nabelschau inszeniert (wie man es leider in immer noch zuvielen Büchern findet), sondern heiter und leicht, schalkhaft erzählend durch seine Fabel führt. Die Hauptperson, ein Schweizer Zoologe im Finnland-Aufenthalt, ist nicht ein ‚Abbild’ des Autors, und doch ist in der Geschichte für mich der ‚ganze Hutterli’, seine Gedichte, Dramen und Prosatexte der vergangenen Jahre, in neuer Form wieder entdeckbar. In ‚Elchspur’ werden verschiedene Themen angeschnitten: die Emanzipation der Frau, die ‚literarische Linke’ und das Ost-West-Verhältnis, die Selbstfindung des Mannes und die Gesundheitswelle; samische Messerschmiede kommen vor und finnische Krämerfrauen, Bootsfahrten auf dem Bottnischen Meerbusen und zahlreiche Saunabäder. Weil diese Themen aber nicht bloss einer Mode wegen angeschnitten werde, sondern in ihrem Zusammenspiel eine Auffassung vom Menschen und von einer erstrebenswerten Form des Zusammenlebens der Menschen zeichnet, ist das Buch trotz seiner ‚Leichtigkeit’ nicht etwa oberflächlich. Für mich gehört Hutterlis Roman zu den ‚gespürigsten’ Büchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe.“ (Peter Anliker, Berner Tagwacht, 30. 9. 1986.)
„Sehr geehrter Herr Hutterli, vielen Leser-Dank für die reiche und bereichernde Lektüre Ihrer Elchspur. Was mir auffiel bei einigen Besprechungen: keine gibt zu, vom Schluss gefangengenommen zu sein, keiner scheint angenehm positiv überrascht – vielleicht weil man nicht zugeben mag, den Protagonisten liebgewonnen zu haben bzw. sich nicht die Richtigkeit seines teilweisen Einsamkeits-Ideals, aus falsch verstandener Sozialisation, eingestehen kann (Schopenhauer: ‚An sich selber so viel zu tun haben, dass man der Gesellschaft nicht bedarf, ist schon deshalb ein grosses Glück, weil fast alle unsere Leiden aus der Gesellschaft entspringen, und die Geistesruhe… durch jede Gesellschaft gefährdet wird und daher ohne ein bedeutendes Mass von Einsamkeit nicht bestehen kann!’) und daher seinen plötzlichen (aber irgendwann ist ja nun mal Ende) Abgang schmerzlich empfindet? Siehe auch Anlage: wieso ‚Romantik’ und dann wird im letzten Satz noch eine Bogen-Theorie geliefert /was meinen Sie dazu?/. Und natürlich ist auch diesem Schreiber das Ende nicht recht. Mich würde auch noch interessieren, inwieweit Ihre so plastischen Romanfiguren wirklich lebendig sind – sind sie es mit den angegeben Berufen auch? Und die geführten Gespräche sind mir aus Finnland auch so herrlich geläufig, wobei es immer klarer wird, dass die ewigen Gut/Böse – Kapitalismus/Kommunismus – Natur/Industrie – etc – Konstellationen gedanklich steril werden und die ständigen Weltein- und –begreifversuche mit ihrem Hoffnungs- und Errettungs-Pathos sowie die endlosen Engagement-Debatten (Benn: … immer Schrei ‚gegen’, im Kampf ‚mit’, im Ringen ‚um’, sie wollen einbeziehen ‚alles’ und ehrlich bleiben, bessern, vollenden, reinigen, ja göttlich machen…) deutlich machen, dass eigentlich schon überall gleich gedacht wird; kurzum: kein Platz für einen gelassenen Nihilismus ist. Der muss angeblich immer ‚überwunden’ werden – aber wozu eigentlich? So kommt man wieder zur leeren Dynamik – und um sie zu fliehen, zum Urlaub nach Finnland…. Dort kann man ‚mit Glück’ zum weltanschaulich Un-Aufgeregten konvertieren, wenn nicht… – siehe oben. Zum Abschluss noch die Frage, ob Sie verwandt sind mit Herrn Hutterli, der vor kurzem in Bern den ‚Sundaymorning’ inszenierte – oder ist Ihr Name so häufig in der Schweiz? Mit herzlichen Grüssen aus der Elbestadt, Wilhelm Busse“
Zur Frage von W. Busse, inwieweit die so plastischen Romanfiguren wirklich lebendig seien: „ Jetzt ist also Vassor erwähnt in der Weltliteratur, hat den Platz bekommen, den es verdient! (Ich weiss zwar nicht, ob der Dichter Nyberg oder Nygren, der in Vassor geboren wurde, schon die Priorität besitzt; weil ich ihn nicht gelesen habe.) Ich danke Kurt herzlich für das Buch und gratuliere wegen der Elchspur. Das Buch hat in mir viele alte Erinnerungen geweckt und ich habe es natürlich mit grossem Interesse gelesen. Mein Name ’Väinö’ ist allerdings in den letzten Jahren unmodisch geworden als Name gerade weil er auf andere Art in Mode gekommen ist. Er wird im Slang als Schimpfwort gebraucht und bedeutet ungefähr ‚Schafskopf’. Vielleicht ist das Kurts feines schriftstellerisches Gefühl gewesen, das mir diesen Namen gegeben hat! …?“ (Lauri Hakamies, Neurologe in Vaasa, in seinem Brief vom 12. 12. 1986.)
„Grandeur nature. Elle est retrouvée / Quoi? L’éternité A. Rimbaud
Deux romans remarquables sont parus récemment en Suisse: Les jours en pièces de Paule-Andrée Scheder, aux Editions de la Thièle à Yverdon, et Elchspur de Kurt Hutterli, publié par le Zytglogge Verlag à Berne. Au-delà des différences dans l’approche, le style, la langue, ces deux oeuvres frappent par une souterraine parenté – et même: une convergence troublante. Ce qui est en jeu, ce qui, nourri d’ allégories, court dans les récits, ce qui apparaît proche et brûlant, c’est la question séculaire d’une possible, ou d’une impossible réconciliation entre les êtres humains et la nature: celle qui les entoure – minérale, végétale, animale – ou la leur, si l’expression nature humaine a un sens. Zusammenfassung des auf Französisch geschriebenen Essays (Umfang: 14 Seiten): „In diesem Essay werden zwei Erzählwerke dargestellt, deren auffallende Affinitäten zur Konfrontation und zum Vergleich aufrufen. Die jeweils in der französischen und in der deutschen Schweiz, von einer Frau und von einem Mann geschriebenen Erzählungen, weisen – thematisch und stilistisch – auf eine verwandte kulturelle, soziale und historische Lage: die Hauptfiguren dieser Erzählungen sind Männer, die nach der Trennung von ihrer Frau in die Einsamkeit getrieben werden. Diese Männer entwickeln – im Gegensatz zu der im normalen und genormten Leben gebliebenen Frau – eine starke, leidenschaftliche und mythische Beziehung zur Natur. So drücken die Erzählungen das ambivalente Verhältnis aus, das zwischen wichtigen sozialen Bewegungen dieser letzten Jahre existieren kann: hier, zum Beispiel, zwischen Feminismus und Ökologie. Eine tiefere Ambivalenz ist auch in den Helden zu spüren: sie sind gespalten, und zwar zwischen der Versuchung, in einem Ganzen – das des Kollektiven, der Natur, der Gattung – unterzutauchen, und andererseits der mühsamen gesellschaftlichen Notwendigkeit, ein individualisierter Mensch zu werden. Diese streng genommen soziologischen, vom Rezensenten aufgegriffenen Fragen erscheinen nicht als Lehre in den Erzählwerken: diese können keineswegs in eine programmatisch engagierte Literatur eingereiht werden. Die kritische Analyse kann aber zeigen, welche kulturellen Strömungen durch diese ausgeformten, monadologischen Werke fliessen. Jenseits dieser Paradoxie – dass die Kritik eines Kunstwerks es beschädigt und trotzdem doch zu dessen Entfaltung beiträgt – wird eine andere Paradoxie ausgesprochen, die genau mit der Substanz dieser Werke zusammenhängt: Dichtungen, die die Natur feiern, können ihrem kulturellen Schicksal nicht entgehen, auch – und gerade dann – wenn sie gegen die von Barbarei und Schein gezeichnete Kultur kritisch Stellung nehmen. So enthüllt sich die unvermeidliche Verbundenheit der Kunst mit dem Mythos, obwohl dieser der Verwirklichung des einzelnen Kunstwerks entgegengestellt ist.“
(Jean-Yves Pidoux, Colloquium Helveticum, Sonderdruck aus „Schweizer Hefte für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaften“, Editions Peter Lang, Bern / Frankfurt am Main / New York / Paris, 1988.)
Baccalà, Kriminalgeschichten aus dem Tessin, Edition Hans Erpf, Bern 1989
„… Hutterlis Erzählungen sind keine Kriminalgeschichten im üblichen Sinn. Es ging dem Autor weniger darum, spektakuläre ‚Fälle’ aufzurollen, als vielmehr: in den einzelnen Episoden etwas unverwechselbar Atmosphärisches und Stimmungshaftes einzufangen und mit beinahe liebenswürdiger Grazie sichtbar zu machen. Baccalà, in einer Tessiner Gemeinde wirkend, entspricht denn auch kaum dem konventionellen Bild eines Kriminalinspektors landläufigen Zuschnitts. Mit seinem couragiert vertretenen Anliegen, etwas vom unverwechselbaren Charakter des Tessins seiner Kindheit zu bewahren, gerät er nur allzuoft in inneren Widerstreit, wenn es gilt, den Gesetzesparagraphen Nachachtung zu verschaffen. Ein feiner, mitunter etwas trockener Humor hilft ihm, auch in seinem privaten Bereich, über mancherlei Widrigkeiten hinwegzukommen. Das Moment des Ungewohnten und kaum Voraussehbaren, das in manchen der Episoden eine tragende Rolle spielt, lässt Freunde des Kurzkrimis letztlich doch auf ihre Rechnung kommen. Hier wirkt eine innere Dramatik, die sich den äusseren Geschehnissen in feinen und gleichwohl kraftvollen Schwingungen mitzuteilen vermag. Ein besonderer Reiz von Kurt Hutterlis Buch aber ist die noble und von persönlicher Anschauung bestimmte Huldigung an das, was sich vom ursprünglichen und lebendigen Charakter des Tessins erhalten hat. Dem entspricht der geschmeidige und unverkrampfte sprachliche Ausdruck. (Hanns Schaub, Brückenbauer, Nr. 10, 7. März 1990.)
„… Hutterli nämlich bringt uns in seinem Buch Bilder und Szenerien aus dem Tessin, und zwar dem heutigen Tessin, also aus Landschaften, die da und dort noch intakt, anderswo aber verdorben, zersiedelt und verstädtert sind, und von den Menschen darin erzählt er uns, die als Bauern leben oder als Bankiers, die Tessiner sind oder Deutschschweizer Rentner oder weltverbessernde ‚Neorurali’, die sich breit machen. Und wenn sie sich plagen, diese Leute, und Hilfe benötigen, so mag sie wohl einmal ein Waldbrand in Not gebracht haben, aber es kann auch Aids sein oder eine politische Demonstration, pazifistische Agitation, die sie umtreibt – Zeitprobleme und –geschehnisse eben, die ennet dem Gotthard so virulent sind wie diesseits. Nur dass sie dort vielleicht etwas spontaner angegangen werden, etwas unbürokratischer als in Deutschschweizer Gefilden, in Hutterlis Buch nicht zuletzt dank dem pragmatisch-undoktrinären Inspektor Baccalà, mit dem eine sympathische Figur ins Spiel gebracht wird, ein lateinischer Wachtmeister Studer gewissermassen. Was um die Gesetzwidrigkeiten und um die Personen herum und zwischen ihnen passiert und wirkt, das menschliche Klima, die gesellschaftliche Atmosphäre, die aus der Landschaft, dem Temperament, der Mentalität wachsende Gestimmtheit – das ist es, was den Reiz von Hutterlis Erzählungen ausmacht und ihnen Heimat gibt im Tessin. Gewiss ist es nicht ‚grosse’, anspruchsvolle Literatur, was uns da vorgelegt wird, sondern eher ist es Kleinmeisterliches; liebenswürdigen Miniaturen begegnen wir in Hutterlis Buch und haben unsere Freude daran.“ (C.C., Der Bund, 8. 4. 1989.)
„… Die Kunst, kurze Kriminalstories zu schreiben, besteht wohl darin, dem Lesenden eine Situation knapp und präzis darzulegen, um ihn dann auf eine Spur zu locken. Hutterli beherrscht dieses Können – und er verfügt über einen scharfsinnigen Denker: Inspektor Baccalà. Die vierzehn Geschichten spielen im Kanton Tessin und handeln von wenig spektakulären, eher ‚alltäglichen Fällen’. Baccalà, der fast biedere Familienvater, hat Tatbestände aufzuklären, die mit den ‚gewöhnlichen’ Menschen und der Tessiner Landschaft zusammenhägen. Da geht es um kleinkarierte Rache, um Brandstiftung, um die ‚Bankbeschmutzer’, um Strahler und ‚Bilderkiller’. Sicher: auch die internationale Verbrecherbühne muss Baccalà beschäftigen, weil sie sich im Kanton als Drogen- und Finanzszene abbildet. Aber der Inspektor tut nur seine Pflicht… Hutterli versteht es, mit wenigen Andeutungen, einigen Strichen nur, die Tat zu umschreiben. Er führt Baccalà an vielerlei falschen Fährten vorbei zum Ziel. Doch es gibt auch Fälle, die sich von selbst entwirren oder gar nicht gelöst werden können. Mit ‚Baccalà’ ist Kurt Hutterli eine Sammlung spannender, lesenswerter Stories gelungen, deren witziger Lokalkolorit die Freude beim Lesen noch vergrössert.“ (Hans-Ueli Grunder, Berner Zeitung, 15. 5. 1989.)
„Mit Baccalà legt Kurt Hutterli eine Sammlung Kriminalgeschichten aus dem Tessin vor. Der sechsundvierzigjährige Kriminalinspektor Carlo Baccalà aus Loguno steht im Zentrum des Geschehens. Er hat zwar keine kriminalistischen Eliteleistungen zu absolvieren, besticht aber durch seine humorvolle Wesensart und vorurteilslose Lebenseinstellung. Doch idyllisch ist sein Berufsalltag wirklich nicht: Da verpasst die Madonna mit der Pistole dem Krimiautor Rainer Maria Kühn eine werbewirksame Schusswunde. In einer Nachttischschublade, unter Pornoheften versteckt, wartet die Schlange des Bösen auf ihren tödliche Einsatz, Bilderkiller und Bankbeschmutzer lassen Carlo Baccalà nicht zur Ruhe kommen. Ein Arlecchino wird auf besonders heimtückische Art in die ewigen Jagdgründe befördert: ‚… ich weiss nicht, ob es dir auch so geht: der buntgescheckte Arlecchino im Schnee – ich bringe das Bild nicht aus dem Kopf, es ist von so trauriger Poesie, das hätte einem Maler der Romantik einfallen können…’ Der Erzählband ‚Baccalà’ besticht durch seinen subtilen Humor und darf mit gutem Gewissen als Kleinod seriöser Unterhaltungsliteratur bezeichnet werden.“
(Al ’Leu, kultur tip, Februar 1990.)
„Für Krimifans. ‚Wenn Sie den Schützen erwischen’, sagt der Kriminalschriftsteller zu dem eigenwilligen Tessiner Kommissar, ‚heisst der Inspektor in meinem neuen Roman nach Ihnen, Baccalà’, was auf deutsch ‚Querschädel’ bedeutet. Aus dem angekündigten Roman wurde ein Bändchen mit vierzehn Erzählungen. Keine spektakulären Fälle, sondern zum Beispiel eine Ladung Geiss-Mist auf der Marmortreppe eines Tessiner Banken-Neubaus, weiss eingefärbte Sturmgewehre als Kerzenhalter im Zivilschutzzentrum von Lionza oder ein Skelett in einer Begkristallgrotte. All diese Probleme, mit denen Inspektor Baccalà sich herumschlagen muss, sind losgelöst von der üblichen schematischen Täter-Suche und haben nichts gemein mit der harmlosen Tessin-Idylle der Ferienprospekte. Ein kleines originelles und lesenswertes Geschenk für Krimi-Freunde und Tessin-Fans.“
(H. Lorenz, Münchner Merkur, 3. 4. 1990.)
„Krimis mit Herz. In diesen Kriminalgeschichten aus dem Tessin haben nicht nur der Inspektor Baccalà, sondern auch die meisten Übeltäter ein gutes Herz. Mehr als einmal wollen sie der 3. Welt helfen oder protestieren gegen die Macht des Kapitals. Im Kapitel ‚Brief aus Managua’ schreibt der Sohn des ‚Gross- und mehrfachen Verwaltungsrats’, dass er selber dessen Porsche geteert und gefedert habe, zur Strafe für ‚die fortschreitende Zerstörung der Mit- und Innenwelt des Menschen durch den Menschen’. Dem Brief liegt das ‚Gleichnis vom verlorenen Vater’ bei, dessen erste Sätze lauten: ‚Schon von weitem sah der Sohn seinen Vater kommen, den Macht- und Besitzgier in die seelische Verarmung und ins innere Elend geführt hatten. Und gleich erwachte sein Mitleid mit ihm.’ So vernimmt sein Vater auch, dass der Sohn nicht mehr in Bologna studiert, sondern im geplagten Land Nicaragua beim Aufbau einer Schule hilft, also auch verloren ist – Baccalà muss den Fall nicht mehr verfolgen. So wenig wie jenen einer Bankbeschmutzung, deren Urheber er per Zufall auf einer Wanderung entdeckt: Es ist ein Aussteiger auf einer Alp, der in einer Nacht herab stieg und eine Ladung Geissmist auf die Marmortreppe des erst kürzlich eingeweihten Neubaus des ‚Banco Sforzesco’ kippte. Aus Verständnis für diesen Wilhelm Tell, der die Banken als die modernen Vögte bezeichnet, will Baccalà die Entdeckung für sich behalten: ‚… schliesslich bin ich nicht als Inspektor dort oben gewesen – überhaupt, die Geschichte kommt mir bereits so unwahrscheinlich vor, als hätte ich sie nur geträumt.’ Die Bank zieht die Anklage zurück; sie hat inzwischen andere Sorgen. Im ‚Corriere’ liest der Inspektor die Überschrift: ‚Nach Geissmist jetzt Fluchtgeld.’ Die Frauen, die für den Frieden die Soldaten auf der Wacht betäubten und in ihre Gewehre Weihnachtskerzen steckten, sind auch ertappt worden. Der Inspektor verhaftet sie ungern, denn seine engagierte Tochter findet nicht den Kaffee mit dem Schlafmittel kriminell, sondern die Aufrüstung! Auch den Kriminal-Autor, der eine deutsche Touristin vergewaltigt, als sie bei einem Gewitter bei ihm Zuflucht sucht, will er so wenig verhaften wie diese selbst, als sie sich später aus dem Hinterhalt mit einem Schuss in die Wade des Übeltäters rächt und die Pistole vor die Madonna di Re legt, die an der Stirne blutet. Er nimmt nämlich an, dass der Täter den Schuss als gerechte Strafe akzeptiert! Er will auch den Ehebrecher nicht aus dem Gefängnis befreien, der vorgab, seine Frau in einen Wasserfall hinunter gestürzt zu haben. In Wahrheit hat die Frau so gelitten, dass sie sich umgebracht hat. Aber der Gatte sagt zu Baccalà: ‚Ich will büssen. Wenn Sie mich hier herausholen, richte ich mich selbst. Wenn Sie meine Gefängnisstrafe in eine Todesstrafe umwandeln wollen, bitte, Herr Inspektor, das müssen Sie mit Ihrem Gewissen ausmachen!’ In allen Geschichten bezaubern uns die Gerüche und Farben des Tessins.“
( Franz Keller, 8. 11. 1990.)
„Neue Schweizer Detektive / … Nicht reaktionär, aber manchmal in seinen Ansichten etwas konservativ ist dagegen Carlo Baccalà, Kriminalinspektor in Loguno. Einen Teil seiner Ausbildung hat er in der Deutschschweiz genossen, doch eigentlich ist der Vater von zwei Kindern ein Bergler aus Brigo geblieben. Er muss Fälle lösen, die nicht weltbewegend sind. Dass er sich dabei nicht nur mit Einheimischen, sondern vorwiegend auch mit Zugezogenen herumschlagen muss, liegt auf der Hand. Kommt hinzu, dass sich Baccalà am Familientisch mit den aufmüpfigen Ideen von Tochter Lorena konfrontiert sieht, die jeweils zu den Zeitungsmeldungen über die neuesten Fälle ihre Kommentare abgibt und ihre Lösung des Falles zum Besten gibt. Das Buch mit den kurzen Kriminalgeschichten des Tessiner Inspektors Baccalà ist erheiternd und vielfach von liebevoller Ironie.“
(Hermann Koch, Volksrecht, Schaffhausen, 26./27. 4. 1991.)
„Lieber Franz, danke schön für Deine Sendung mit Hutterlis Geschichte. (Anm. K.H.: die Baccalà-Geschichte ‚Die Madonna mit der Pistole’ in der Berner Zeitung.) Das ist anarchistisch und mehr nach meinem Geschmack als die Diktatur des Proletariats…“
(Heiner Hesse, Sohn von Hermann Hesse, auf einer Karte an Franz Keller, Psychologe, Parapsychologe, Astrologe, Nudist und „Ökosozialist“. Keller hatte ihm 1991 mit meiner Baccalà-Geschichte auch zwei eigene Leserbriefe aus der Berner Tagwacht zum Thema „Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats“ geschickt.)
Gaunerblut – Das Leben des Ein- und Ausbrecherkönigs Bernhart Matter, Limmat Verlag, Zürich 1990
Rezensionen und weitere Materialien befinden sich mit den Dokumentationen zu den Stücken „Das Matterköpfen“, 1978, und „Gounerbluet“, 1993, im Besitz der Schweiz. Theatersammlung, Universität Bern.
„…Tote wären den Projektionen, dem wertenden Zugriff anderer wehrlos ausgesetzt, gäbe es nicht noch Lebende, die eine Version ‚in ihrem Sinne’ verteidigen und damit die Deutungswillkür einschränken würden. Doch mit der Zeit erlahmen diese Energien, und die vergangenen Leben erfahren ihre Freisetzung für historische Interpretationen ebenso wie für literarische Aneignung. In freien Erzählungen wird die Zeit auf neue Weise verfügbar. So kann es – wie im vorliegenden Band S. 51ff. – passieren, dass der vor 150 Jahren hingerichtete ‚Ein- und Ausbrecherkönig’ Bernhart Matter aus Muhen (Aargau) auf das zurückblickt, was mit seinem Haupt passierte, nachdem es vom Rumpf abgetrennt worden war. Diese imaginäre Retrospektive auf das eigene Ende wird durch einen Autor ermöglicht, der sich viel später zum Komplizen des Gauners macht, indem er ihm eine Stimme verleiht. Der Protagonist erfährt hier eine lebensgeschichtliche Rehabilitation post festum, der Leser wird Zeuge einer Wiederauferstehung eines in die Illegalität abgedrängten und schliesslich in den Tod beförderten Verbrechers als Mensch, der auf listige Weise ein klein wenig ausgleichende Gerechtigkeit zu verwirklichen vermochte.“
(Jakob Tanner im Vorwort zur Anthologie „Mein Leben und ich“, Limmat Verlag, Zürich 2005.)
Mir kommt kein Tier ins Haus, Aare Verlag, Solothurn 1991
„… Die vorliegende Erzählung, erzählt aus der Sicht der zwölfjährigen Nina, ist sehr spontan. Dem Autor ist es fabelhaft gelungen, sich in die Seele eines Kindes hineinzuversetzen. Frisch von der Leber weg werden die Erlebnisse farbig und lebendig geschildert.“ (Anita Peter, Kantonale Kommission für Schul- und Gemeindebibliotheken Luzern, 21. 4. 1991.)
„Spannender Alltag. Nina möchte gern Schriftstellerin werden, aber da sie Legasthenikerin ist, wird dieser Wunsch zum Problem. Sie hat aber Glück, denn ihre Eltern beschliessen, mit ihr und ihrem jüngeren Bruder ein halbes Jahr auf einem Berg im Tessin zu wohnen. Da die Eltern beide Lehrer sind, können sie ihre Kinder während dieser Zeit selbst unterrichten und dabei Nina helfen, ihre Schreib- und Leseschwäche zu beheben. Die Mutter verspricht, Ninas Sekretärin zu werden, wenn Nina jeden Tag fünf fehlerfreie Sätze schreibt. Nina kann ihre Erlebnisse auf ein Tonband sprechen, und die Mutter schreibt es dann auf. Und es gibt vieles, was die Familie in den Tessiner Bergen erlebt und sieht. Der Vater ist ganz gegen Haustiere, aber was soll man gegen Siebenschläfer unternehmen, die schon im Haus sind, oder gegen eine einsame Katze? Auch der Vater muss schliesslich einsehen, dass es ohne Tiere einfach nicht geht. Claudio Turri hat mit ‚Mir kommt kein Tier ins Haus’ ein überaus positives Buch geschrieben, das Einblick gibt in ein unkompliziertes Leben mit viel Anschauungsunterricht in der Natur. Das im aare Verlag, Solothurn erschienene, von Ulrike Frentzel gekonnt illustrierte Buch wird manchem Leser das Leben in unseren Bergen näherbringen und die Freude am Beobachten wecken.“
(Zofinger Tagblatt, 9. 6. 1991.)
„… Ein derart gutes Jugendbuch ist mir schon lange nicht mehr in die Finger gekommen. Um ihre Legasthenie zu überwinden, beschreibt die 12jährige Nina, was sie mit Bruder und Eltern auf einer Alp im Tessin erlebt, wohin sich die Familie für ein halbes Jahr zurückzieht. Dass dabei auch die Tiere eine grosse Rolle spielen, verrät der Titel. Aber auch sonst kommt manches vor, was Kinder und Erwachsene interessiert und beschäftigt. Der Berner Kurt Hutterli hat unter dem Pseudonym ein Jugendbuch geschaffen, das man sich für Geburtstage und Weihnachten merken muss.“ (Reformiertes Gemeindeblatt Thun, Nr. 9, September 1991.)
„… Mit viel Einfühlungsvermögen hat es der Autor verstanden, die alltäglichen Erlebnisse der Familie zu lustigen, spannenden, aufregenden Abenteuern werden zu lassen. Der Leser fühlt sich mittenhinein versetzt in die Szenerie. Er leidet und freut sich mit den Familienmitgliedern, wenn wieder etwas Unvorhergesehenes eintritt. Zeile für Zeile ist die Liebe des Autors zu diesem Stück Land spürbar. Die schwarz-weiss Illustrationen von Ulrike Frentzel unterstützen diesen Eindruck noch. Am Ende des Buches bedauert nicht nur die Familie, dass der Aufenthalt zuende ist!“ (J. Lienenbecker, Arbeitskreis „Jugend
und Buch“ im Reg.-Bez. Detmold.)
Stachelflieder, Gedichte in Prosa, Edition Hans Erpf, Bern 1991
„Der Berner Schriftsteller Kurt Hutterli ist bekannt als literarisches Multitalent, er scheibt Gedichte, Erzählungen, Romane, Theaterstücke und Hörspiele und scheint sich in all diesen Formen wohl zu fühlen – er verwendet die richtige Form und richtige Sprache für das richtige Thema. Und manchmal mischt er auch verschiedene Formen: Sein neuestes Bändchen enthält, wie der Untertitel verspricht, ‚Gedichte in Prosa’. Ein genauerer Blick auf die fünf Texte zeigt vordergründig zwei Erzählungen, zwei Gedichtzyklen und ein kurzes Hörspiel – und trotzdem fünf Gedichte: Poetische Texte, die sich mit Hutterlis Verhältnis zu verschiedenen Gegenden der Welt befassen. Die Schweiz kommt natürlich vor, insbesondere die Südschweiz, das Tessin, das Hutterli so gut kennt, aber selbstverständlich auch Finnland, wo Hutterli ebenfalls zu Hause ist, und sodann Kanada, wo er ebenfalls schon längere Zeit weilte. Hutterli führt uns aber nicht nur in unterschiedliche Gegenden, sondern auch in unterschiedliche Zeiten, er versteht es ausgezeichnet, verschiedene Seh-Weisen der Welt immer neu miteinander zu verknüpfen. ‚Where are you from?’, fragt er sich selbst in einem der ‚Gedichte in Prosa’, und dies ist wohl die zentrale Frage für einen Dichter, der den Begriff ‚Heimatdichtung’ etwas anders auffasst, als er gewöhnlich gebraucht wird. ‚Ein Buch für Leserinnen und Leser mit Heim- und Fernweh nach einer lebensfreundlichen Welt’, schreibt der Verlag zu Hutterlis ‚Stachelflieder’ – eine Charakterisierung, die mir das Wesentliche zu enthalten scheint. ‚Stachelflieder’ heisst das Bändchen, und dies ist nicht nur eine gekonnte Neuschöpfung aus einem der Gedichte – sie bezeichnet gefrorene Fliederzweige mit Frostnadeln -, es ist auch eine knappe Charakterisierung der hutterlischen Texte: Sie sind lieblich wie Flieder, aber dieser Sprachflieder hat Stacheln.“
(pan., Berner Tagwacht, 11. 1. 1992.)
„Poetisches Nachdenken über die Natur und das eigene Leben. Als allererstes begegnet uns, wenn wir das schmale Buch aufschlagen, das freundlich lächelnde Gesicht des Dichters – ganz im Unterschied zum vor drei Jahren erschienen Band Kriminalgeschichten aus dem Tessin (‚Baccalà’), wo der Autor besinnlich vor sich hinunter schaute. Dabei waren das doch mehrheitlich recht vergnügliche Geschichten, in denen sich Autor und Leser genau wie der Inspektor mehr mit den ‚Verbrechern’ als mit ihren Opfern identifizieren konnten. Ist also ‚Stachelflieder’ ein noch leichtfüssigeres Werk, besonders da ja hier die kriminalistischen Untertöne fehlen? Gerade eben nicht. Es ist kein lustiges, sondern ein nachdenkliches Bändchen, auch wenn es ebenso leicht lesbar daherkommt und einen von der ersten bis zur letzten Seite nicht mehr loslässt. Drei Prosatexte werden dabei gleichsam aufgelockert durch zwei Gruppen ‚echte’ Gedichte. Und wenn man zuerst etwas ratlos nach einem zumindest gedanklichen, wenn nicht formalen Band sucht, das dem Ganzen eine Einheit verleihen könnte, so merkt man erst am Schluss, dass der Titel ‚Stachelflieder’ eine Art Schlüssel dazu ist: die Begegnung mit der Natur, dort, wo sie trotz der Zerstörungswut des Menschen unantastbar ihr eigenes Gesicht bewahrt. Im vom Frost mit weissen Stacheln versehenen Flieder ebenso wie in der Unberührtheit des finnischen Frühlings, aber auch im versteinerten Müschelchen und im besonders hart geführten Existenzkampf der Natur im Tessin der Gegenwart. Das von unseren Kulturschaffenden so angefochtene Ereignis der 700 Jahre Eidgenossenschaft wird im ersten Abschnitt überraschend und originell mit der Idee des Wiedergeborenwerdens verflochten. Von der fossilen Schnecke über die Pfahlbauersfrau, die verbrannte Hexe und den plündernden und hurenden Reisläufer, vom hungernden Weberkind über das erstickte Kaminfegerlein in Mailand bis zum Beamten, der das J im Judenpass erfand, führen uns des Dichters Lebensgeschichten, blitzlichtartig, aber um so eindrücklicher. Der zweite Prosatext ist ein sehr farbiges Mosaik aus den Naturerlebnissen der frühromantischen Dichterin Friederike Brun im Tessin, nachempfunden anhand ihrer Tagebücher und dem Briefwechsel mit den schweizerischen und deutschen Geistesgrössen ihrer Zeit – wobei die Männer, vorab der Berner Karl Viktor von Bonstetten, neben der Dichterin gerade in ihrer Sachlichkeit schön in Erscheinung treten. Das Ganze wird in harten Gegensatz gesetzt zur Natur-, Luft- und Wasserverschandelung unserer Zeit, die sich im Tessin sehr krass manifestiert. Und der dritte, der wohl dichterischste Aufsatz, besingt das Finnland aller vier Jahreszeiten – allerdings ohne die schwierigen Wintermonate -, die Schönheiten und Härten der finnischen Natur, die Beeren wie die Mücken, aber auch die Probleme, mit denen die Menschen konfrontiert sind, vorab den Alkohol. Die dazwischengestreuten Gedichte geben dem Ganzen die poetische Tiefe, die der Titel so leichtfüssig verspricht. Auch sie verweben Mensch und Natur in einem Erlebnis. Es sind, wie die Geschichten, für mich Gratwanderungen zwischen den Abgründen ökologischen Moralisierens auf der einen und naturverherrlichenden Träumens auf der andern Seite. Der Titel ‚Stachelflieder’ trifft genau diese Mittellinie. ‚Das Gedicht entspringt aus der Lust des Intellektbesitzers, auf eine grosse Portion davon zu verzichten’, hat Robert Walser einmal geschrieben. Das Bändchen von Kurt Hutterli scheint mir der gelungene Versuch, auf den Intellekt nicht etwa zu verzichten, aber ihn durch Zähmung seiner moralisierenden Impulse dem dichterischen Erlebnis unterzuordnen.“
(Ruth Bietenhard, Der Bund, 6. 6. 1992.)
„’Stachelflieder’ ist ein seltsames Buch. Schmal, so dass man es an einem Nachmittag bequem zu Ende lesen könnte. Nur wird das niemand tun – er würde sich hoffnungslos überfressen. ‚Gedichte in Prosa’ ist das Werk untertitelt, aber wer dabei an entsprechende Texte von Sarah Kirsch z.B. denkt, der sieht sich getäuscht. Drei Erzählungen und zwei Gedichtzyklen sind in dem schmalen Bändchen zusammengefasst – und alle sind eindeutig entweder der einen oder der anderen Gattung zuzuordnen. Etwas ungewöhnlich, diese Zusammenstellung – und doch ist sie mehr als bloss ein Konvolut von Texten, die man – mangels Masse vielleicht – zwischen zwei Buchdeckel gepresst hat. Drei Geschichten also und zwei Gedichtzyklen, und alle handeln sie von etwas, was schwer zu fassen ist; von Heimat nämlich. Aber Heimat nun nicht etwa im dumpfen Sinn von ‚Blut und Boden’, sondern eher im Blochschen Verständnis, als Ort, der ‚allen in die Kindheit scheint und wo noch niemand war.’ ‚Heimat’ – das kann auch die Fremde werden. ‚Okanagan Valley’ in Kanada zum Beispiel, oder Finnland; beides Orte, die Hutterli eindringlich zu beschreiben versteht. Und umgekehrt kann auch das, was man für gewöhnlich ‚Heimat’ nennt – in Hutterlis Fall also die Schweiz – bei näherem Hinsehen sehr fremd wirken. In der Erzählung ‚In diesem Land’ beispielsweise rekapituliert der Erzähler seine verschiedenen Existenzen als Schweizer oder Schweizerin im Laufe der Jahrhunderte, aber im Nachhinein scheint er sich nur selten wohlgefühlt zu haben in seinen Häuten, weil er auch als (neutraler? friedliebender? wohlhabender? – Zutreffendes bitte unterstreichen) Schweizer nur die Wahl zwischen einer Existenz als Täter oder als Opfer hatte. Was sowohl die Geschichten als auch die Gedichte auszeichnet – vor allem aber die Gedichte – das ist die Kraft der Wahrnehmung. Hutterli schaut genau hin, und so gelingen ihm auch seine sprachgewaltigen Bilder. Ein seltsames Buch? Mag schon sein. Aber ein Buch, das ich gerne gelesen habe, und zu dem ich bei Gelegenheit wieder greifen werde.“
(Bernd Giehl, Scriptum, Neue Blätter für Literatur 9/1992 und „Der Freibeuter“, Zeitschrift für Kultur/Politik, 51/92, Wagenbach Verlag, Berlin.)
Katzensprung, 20 Gedichte, Einblatt-Texte im R.+R. Verlag, Bottmingen 1993
„Kein neues Buch, sondern ein Mäppchen mit losen Blättern legt uns der Berner Kurt Hutterli vor, und es sind nicht, wie so manches Mal schon, Erzählungen und Bühnenstücke, sondern Gedichte, auf jedem Blatt eines. Die Gedichte sind meist kurz, ihre thematische Spannweite indessen ist beträchtlich. Gedankenlyrik ist darunter, auch solche mit schmerzlich-kritischem Unterton, Erinnerungsbilder und Naturimpressionen scheinen auf, Traum und Phantasieszenen werden lebendig, Miniaturen halten einen prägenden Augenblick fest:
Blackbox
Mit den Abendnachrichten
Fällt ein Schattenband
Aus meinem Transistorradio
Quer über die Heiterkeit
Meines Gartentages.
Die Gedichte dieser Sammlung, in den Jahren 1988-1993 entstanden, sind reimlos. Der Rhythmus der Sprache und vor allem die Bildhaftigkeit der Vorstellung, des Ausdrucks und der Aussage dringen in den Lesenden ein.“
(c.c., Der Bund, 29. 1. 1994.)
Die sanfte Piratin, Jugendbuch, Aare bei Sauerländer, Aarau 1994
„Im schwedisch-russischen Krieg von 1808/09 wird die sonst so stille finnische Insel Björkö zum Durchmarschgebiet. Die 12jährige Svea, die bei ihrer weisen Grossmutter aufwächst, setzt sich vehement für Frieden und Gerechtigkei ein. Zusammen mit ihren Freunden rettet sie einen Schiffbrüchigen und versteckt – mit Hilfe der Grossmutter – einen Deserteur. Der Autor erzählt ruhig und behutsam, dabei sehr kenntnisreich von den Bräuchen und Geheimnissen der Inselbewohner. Auch wenn die Insel im Bottnischen Meerbusen kaum und der schwedisch-russische Krieg zu Beginn des letzten Jahrhunderts noch wenig bekannt sein werden, das Exemplarische der Erzählung – die Leiden der Bevölkerung an einem willkürlich von oben angezettelten Krieg – sollte möglichst vielen Leserinnen und Lesern vermittelt werden.“
(Susanne Rieken, ekz-Informationsdienst 4/94.)
„Die zwölfjährige Svea, Titeheldin des Buches, lebt auf Björkö, einer Insel zwischen Finnland und Schweden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Krieg zwischen Schweden und Russland um die Vorherrschaft in Finnland herrscht, ist Björkö ein wichtiger Stützpunkt der Schweden. Daneben machen sich Banden die verworrenen Zeiten zunutze, schmuggeln Branntwein, berauben Reisende und setzen sie in den Schären aus. So entdeckt Svea einen italienischen Schauspieler und einen verwundeten schwedischen Deserteur. Sie werden gastlich aufgenommen und von der heilkundigen Grossmutter gesundgepflegt. Als die Russen Finnland erobern und Björkö besetzen, gelingt es Sveas Grossmutter, sie mit einer List vom Übersetzen nach Schweden abzuhalten. Svea führt nach dem Krieg die Schmuggler in die Irre. Als ‚sanfte Piratin’ wird sie von allen gefeiert. – Dieses Buch bezieht seinen Reiz aus dem Ansatz, historische Ereignisse (die für sich genommen wenig interessieren) aus dem Blickwinkel des Volkes zu erleben und gibt im Zusammenhang damit einen guten Einblick in das Leben im Skandinavien des 19. Jahrhunderts. Darüber hinaus beweist es, dass man mit etwas Geschick auch in schwierigen Zeiten couragiert handeln kann.“ (Josef Schnurrer, Buchprofile 5/94.)
„… Hutterli hat ein eher zurückhaltendes Buch geschrieben, das durch die ruhige, gediegene Art des Erzählens überzeugt. Der Titel ist allerdings nicht treffend, denn es handelt sich hier weder um gewaltsame noch um sanfte Piraterie, sondern um den Alltag der Menschen in Kriegszeiten. Und der ist eindrucksvoll genug.“ (Karl Pörnbacher, Süddeutsche Zeitung, 8. 7. 1994.)
„… Für die zwölfjährige Svea, die seit dem Tod ihrer Eltern bei ihrer Grossmutter Malin lebt, wird dieses Jahr zu einem Meilenstein auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Durch ihre Gespräche mit Malin und durch die Abenteuer, die sie zusammen mit ihren Freunden erlebt, wird Svea bestärkt in ihrem Widerspruchsgeist und ihrer Abneigung gegen Unrecht. Und schliesslich gelingt es ihr, auf ganz eigene Art ein Zeichen zu setzen gegen den Krieg und seine Helfeshelfer.“ (Raiffeisen Zeitung, 11. 8. 1994.)
„Svea erscheinen die Wörter ‚Krieg’, Verschwörung’, ‚erstechen’ oder ‚hinrichten’
als ‚Nur-Männer-Wörter’, als Wörter, die es ohne Männer nicht gäbe. Nein, das ist keins der übrigen Problembücher für Jugendliche, das den Eltern gefällt, den Kindern aber wenig Spass bereitet. Der Schweizer Kurt Hutterli hat einen Abenteuerroman geschrieben, ihn in das 19. Jahrhundert, in die Zeit des Kriegs zwischen Schweden und Russland verlegt, und auf spannende Weise geschildert, wie das zwölfjährige Mädchen Svea den Helfershelfern des Krieges eins auswischt. Sanftes und listiges Aufbegehren gegen Unrecht, eine Grossmutter voller Weisheit und Liebe, nebenbei Geschichte über Finnland, das macht die Erzählung von der sanften Piratin zur wertvollen Lektüre, ohne den betont erhobenen Zeigefinger.“ (Passauer Neue Presse, 17. 8. 1994.)
Al Campo – Tessin-Gedichte mit Originalradierungen von Paul Freiburghaus, Eigenverlag P.F., 1999
„… Das Buch ist so schön gemacht, deine Gedichte sind sehr stark und eigen und die Radierungen von Paul sind meisterhaft…“
(Clown Dimitri, 1975)
Das Centovalli Brautgeschenk, Waldgut Verlag, Frauenfeld 2004
Beat Brechbühl, Schriftsteller und Verleger, zur Buchvernissage vom 19. März 2004 im Schloss Arenenberg:
„Ich begrüsse Sie herzlich als Dichterkollege von Kurt Hutterli und als Verleger des Verlags im Waldgut und also dieses schönen Buches Das Centovalli Brautgeschenk.
Über das Buch werden Sie nachher einiges vernehmen.
Ich möchte kurz erzählen, dass es mit dem Umstand, dass wir heute Abend hier sind, einige Besonderheiten auf sich hat.
Vor 42 Jahren lebte ich in Egnach/neben Romanshorn. Ich arbeitete als Redaktor der Zeitschrift für junge Leute „clou“, half in der kleinen Druckerei und konnte meine ersten Verlagsprogramme für den clou Verlag erfinden.
Die Zeitschrift clou war auch für heutige Begriffe eine ziemlich alternative Sache. Wir scheuten keine Tabus und traten in viele Fettnäpfe – die hiessen damals Religion, Staat, Freikörperkultur, Schwule und Lesben, Drogen, Minderheiten, Ausländer, andere Aussenseiter – und vor allem druckten wir junge, möglichst freche Literatur und andere aufmüpfige Kunst.
In der Ostschweiz kriegten wir ab und zu ein paar auf unsere Deckel – man kannte zwar den clou nicht inhaltlich, wusste jedoch, dass es ein ganz wüstes Ding sein musste, und dazu wurde sie nach Jürg Schoop, der damals in Romanshorn wohnte, von einem Ausländer und einem Zugelaufenen, nämlich Noldi Schwitter (als Herausgeber und Drucker) gemacht. Nach dem Ausländer kam ein weiterer Zugelaufener, und erst noch aus Bern. Unser schlechter Ruf verdünnte sich, je weiter weg sich die Echos regten, in Zürich standen wir in jungen Kreisen recht freundlich da, in Basel machten wir ein eine Woche dauerndes clou-fest mit eingebauten Skandälchen, und in Bern müssen wir wenige, aber gründliche Fans gehabt haben.
Jedenfalls reisten eines Tages zwei etwa 18jährige Mittelschüler nach Egnach. Dieser Besuch zeigte Früh- und Spätfolgen: der eine, René Auer, hätte von mir aus der humoristischste Autor mindestens der Schweiz werden sollen. Das wurde er nicht, aber etwa 12 Jahre später der Götti unserer Tochter. Der andere junge Mensch hiess Kurt Hutterli und war schon Autor, aber das wusste noch niemand. Die Zwei wollten einfach mal sehen, wie ein richtiges Sündenbabel und grimmige Tabufresser aussehen. Ich denke, beider Hoffnungen wurden enttäuscht – so schlimm waren wir gar nicht, sondern viel schlimmer: Wir gaben uns keine Mühe, uns als normale Menschen zu tarnen.
Jedenfalls gefielen mir die kleinen Texte von Hutterli, sie waren auch so handlich, dass ich sie von Hand im Bleisatz setzen und auf dem Heidelberger Tiegel drucken konnte, als Bindung haben wir unsere fürchterliche hauseigene Leimschmiererei, Klebebindung genannt, angebracht.
Das erste Büchlein hiess „Die Gottesmaschine“, das zweite waren die „Blätter zur Acht“, und das dritte war die Erzählung „Krux“; letzteres druckten wir aber schon im noch nicht ganz druckreifen Offsetdruck.
Ich behaupte schon seit Urzeiten, dass sich die guten Leute und die guten Geschichten irgendwann finden; manchmal halt mit ein, zwei Jahrhunderten Verspätung. Und ich finde es weiter famos, dass fast ein Drittel des Centovalli Brautgeschenks hier in diesem Schloss spielt, wenn auch teilweise indirekt, und dass Kurt Hutterli Bürger von Salenstein ist – und nach 40 Jahren zu mir als Verleger und wieder in den Thurgau sozusagen zurückgekehrt ist.
Aber bevor diese Dinge unheimlich werden, möchte ich Herrn Gügel und der Besatzung des Schlosses Arenenberg für die Gastfreundschaft danken, der Buchandlung Huber für den Abend, Ihnen allen fürs da Sein und das Interesse – und Kurt Hutterli für sein wunderbares Buch.
Und nun übergebe ich gerne das Wort an den Autor.
Bitte schön.
„Eigentlich wollte Kurt Hutterli nur das Herkommen seiner Familie erkunden: Bürger von Salenstein, neben Schloss Arenenberg am Bodensee. Auf dem Schloss lebten im 19. Jahrhundert die ‚Napoleons’. Aus Hutterlis Ahnenforschung ist ein grossartiges Gewebe von Geschichten und Geschichte geworden, die in den Centovalli und am Bodensee spielen. Aus dem Pariser Himmel sendet Victor Hugo Klopfdiktate aus der Zeit des Staatsstreichs Louis Napoleons. Im Mittelpunkt stehen zwei Frauenhelden, Kaiser Napoleon III. und der Dichter Victor Hugo sowie zwei Freunde aus dem Tessin, Gymnasiallehrer Luigi Turri und Jesuitenpater i. R. Pietro Angeloni. Die Fäden hält die eigenwillige Francesca di Re in der Hand. Kurt Hutterli weiss mit Zeitspüngen, Liebes- und Verwirrgeschichten, Märchen und Sagen umzugehen. So treten auf, beginnend mit der blutenden Madonna von Re: Hexen, Emanzipationswillige, Schlitzohren, Teufel, Bischöfe, Pfarrer – und zum Beispiel Prof. Ueda Akinari, Doppel eines japanischen Autors aus dem 17. Jahrhundert, San Carlo Borromeo, Bischof von Mailand, Franziska Gräfin zu Reventlow sowie Napoleon III. als Schwängerer der Dienstmagd Barbara H. und als braver Bürger des Kantons Thurgau. Victor Hugo wütet mit seinem Sozialverständnis gegen Napoleon III. Und immer wieder die Frauen: als Schlange, wunderschönes Geschöpf, Hetäre, Emanze, Regisseurin des Schicksals. Im ‚Protokoll der Befragung der Hexe Faustina durch Dottor Balanzoni-Lombardi anlässlich des Karnevals von Intragna’ erfährt man, was es wirklich ist, das „Brautgeschenk des Teufels’. Kurt Hutterli ist ein wunderbarer Erzähler; aus seiner Kenntnis der Geschichte, der Landschaften und der Menschen zaubert er eine Wundertüte nach der andern herbei und treibt uns temporeich durch Gefühle und Zeiten.“
(Beat Brechbühl, 2004.)
„Tal der hundert Täler – Wo Zeit und Raum zusammenschmelzen. Das Centovalli markiert die so genannte insubrische Verwerfung, ein geologischer Bruch, welcher durch das Aufeinandertreffen der europäischen mit der afrikanischen Kontinentalplatte entstand. Durch diesen Weltenspalt ‚quellen andere Wirklichkeiten’, Zeit und Raum schmelzen in Hutterlis Erzählung hier zusammen und formieren sich zu einem Strudel, dessen Auge das Gnadenbild von Re bildet. Darum herum drehen sich in wilden Kreiseln die verschiedensten Figuren, allen voran der Ich-Erzähler Luigi Turri, ein in Intragna wohnhafter Gymnasiallehrer mit der „Fähigkeit zum Klarträumen“, dann sein Freund, der gewitzte Jesuitenpater Pietro Angeloni, aber auch Napoleon der Dritte, illegitimer Urgrossvater des Hauptprotagonisten Luigi Turri, der Dichterfürst Victor Hugo, der sich mit morseartigen Klopfzeichen in das sinnliche Geschehen mischt, und der allgegenwärtige Carlo Borromeo, der im Laufe der Erzählung einige Metamorphosen durchmacht. Im Übrigen bevölkern Hexen, Huren und Heilige, Geister, Geistliche und Gehörnte die Bühne, auf der auch die unseren langjährigen Lesern von einem früheren Beitrag noch bekannte Franziska Gräfin zu Reventlow ihren Auftritt feiert. Lassen Sie sich treiben – die Melezza wird Sie an einem sandigen Ufer wieder absetzen!“
(Annegret Diethelm und Attilio D’Andrea, Literatur-Seite, Tessiner Zeitung, 17. 3. 2006.)
„Der einzige Kaiser, den die Schweiz je hervorgebracht hat, würde dieses Jahr 200 Jahre alt. Napoleon III. wuchs auf dem Thurgauer Schlösschen Arenenberg am Bodensee auf… Mit dem eigenen Nachwuchs nahm es der junge Louis auf Arenenberg ebenso locker wie sein Onkel. ‚Auf Grund von Listen von Apanagen an Thurgauer Familien wissen wir, dass der Prinz einige Kinder im Thurgau hatte’, sagt Gügel. (Anm. K.H.: Dominik Gügel, Konservator des Napoleonmuseums Schloss Arenenberg.) ‚Offiziell anerkannt hat er sie zwar nie, aber trotzdem hat er für sie gesorgt.’ Laut dem Konservator des Napoleonmuseums gibt es auch heute noch ‚kaiserliche Nachkommenschaft’ im Kanton. ‚Diese Leute wollen sich aber nicht öffentlich dazu bekennen. Wir respektieren das.’“
(Der Thurgau feiert seinen Kaiser, Die Südostschweiz, 22. 3. 2008.)
Der Salon der Witwe Rusca, theaterverlag elgg, Belp, 2008
Klappentext der mehrstimmigen Tessiner Erzählung: „Der 25-jährige Dichter Reto Tschanz plant im Tessin einen Farbanschlag auf den prominenten Literatur- und Filmkritiker Urs Martin Stich und schreibt gleichzeitig an einem Buch über ein 1797 geplantes Attentat auf den Politiker und Schriftsteller Karl Viktor von Bonstetten.“
(Die Tessiner Zeitung brachte dazu als Vorabdruck eine Literaturseite mit Ausschnitten. Der „Salon“ wurde in keiner Zeitung besprochen. Eine der vielen Quellen der Inspiration für den Text war die handschriftliche Karte eines prominenten Schweizer Literaturkritikers gewesen: „Sie sind der aufmüpfige Autor von früher geblieben. Kopfhoch! Ihr Rang als Schriftsteller wird schon noch wahrgenommen werden.“ Er hatte freundlicherweise ein paar Gedichte von mir publiziert, und ich hatte ihn im Zusammenhang mit den von ihm beigefügten Informationen freundlich darauf hingewiesen, dass ich in Kanada nicht als Weinbauer, sondern als Künstler und Schriftsteller arbeitete und dass ich unser Haus nicht allein, sondern zusammen mit meiner ebenfalls kräftig zupackenden Frau gebaut hatte. Sie hatte das Haus und ich das Atelier entworfen.)
Wenn der Weingott nach Aurora kommt, teaterverlag elgg, Belp 2013
„Mein Gott, lieber Kurt, wie soll ich Dein neues Buch ‚Wenn der Weingott nach Aurora kommt‘ unseren Lesern vorstellen, welche Textausschnitte wählen? Zu vielgestaltig ist dieses Buch, sowohl was die verschiedenen Geschichten, als auch die unterschiedlichen Textsorten, Informationsebenen und Schreibstile betrifft. Aurora ist der römische Name für die griechische Göttin der Morgenröte Eos; Aurora Borealis ist der wissenschaftliche Name für das Nordlicht, das auch über dem Okanagan Valley aufleuchtet, Aurora ist eine Rebsorte und ein Wein des Okanagan Valley; doch Aurora als Goldminenstädtchen gibt es natürlich nicht. Und wie kommt denn der griechische Gott Dionysos ins Okanagan Valley? Ja, natürlich, als Gott des Weines, der ja in diesem Tal angebaut wird. Doch Dionysos ist ja auch der Gott der überschäumenden Lebensfreude, der orgiastischen Feste, die sich um keine Moral kümmern. Dionysos als Gott der Liebe? Ja, natürlich, wenn man diesen Begriff in seiner entgrenzenden, alles umfassenden Bedeutung versteht. Alle die schillernden Facetten der Liebe melden sich in Deinem Buch zu Wort: Die Liebe zwischen Freunden, die erste Liebe, die sogenannt reife zwischen Mann und Frau, die orgiastisch-zügellose Liebe, die verbotene Liebe, die missbräuchliche Liebe, Liebesschmerz und Liebeslust, die Liebe zwischen Mutter und Sohn… Und letztere steht doch irgendwie im Zentrum, auch wenn Du das Buch Deiner Frau Marianne widmest, ohne die Du nie in die Nähe von Aurora gezogen wärest (auch dies eine mehrdeutige Aussage): Bob, der seine Mutter aus lauter Liebe zur Aufgabe gewisser Selbstständigkeiten bewegen will, und Mutter Laura, die ihre Freiheit mit festem Griff in den Händen hält. – Hältst Du etwa im Vorjahr zu Deinem 70. Geburtstag eine Art Rückschau auf ein Thema, das uns alle umtreibt?“
(Attilio D’Andrea, Literatur-Seite Tessiner Zeitung, 13. 12. 2013.)