Am Ende des 15. Jahrhunderts stand in Re eine San Maurizio-Kirche. Auf ihrer Fassade war ein kleines Fresko aufgemalt, das eine „Madonna del Latte“, eine stillende Madonna, zeigte. Nach der Überlieferung schleuderte ihr ein gewisser Giovanni Zucono aus dem benachbarten Dörfchen Villette aus Wut, dass er im Spiel verloren hatte, einen Stein an die Stirn. Am folgenden Morgen, dem 29. April 1498, stellten Passanten fest, dass aus der Stirnwunde Blut tropfte. Dieses Ereignis wurde mit mehreren Dokumenten bezeugt. Das wichtigste wurde ein paar Tage später von Daniele de Crispis, dem Bürgermeister des Tals, verfasst und von vier Notaren unterschrieben.

1627 wurde die San Maurizio-Kirche durch einen Neubau ersetzt. Das wundertätige Bild war sorgfältig von der alten Fassade abgelöst worden und wurde nun auf den Altar der neuen Kirche gestellt.

Die 1958 geweihte Basilika wurde an die San Maurizio-Kirche angebaut.

1984 nahm ich die San Maurizio-Kirche von einem Gässchen her auf.

Auf dem Altar der San Maurizio-Kirche steht auch das Reliquiar mit dem aufgefangenen kostbaren Blut.

In der Basilika sind an einer Wand die Votivgaben zu sehen, die Wallfahrende als Dank für eine Heilung spendeten.

Als für den 500. Jahrestag des Wunders von Re eine Erinnerungsmesse angesagt wurde, beschlossen meine Tante Heidi und ich, von Bern aus über Domodossola nach Re zu fahren, um dort an den Feierlichkeiten teilzunehmen.

In der Centovalli-Bahn erklärte mir die Frau, die neben mir sass, dass sie sich die Heilung eines hartnäckigen Ekzems an ihrem rechten Vorderarm erhoffe.

Pilgerinnen und Pilger hielten immer wieder Ausschau nach einem Helikopter, der Papst Benedikt XVI. nach Re bringen würde.

Als ich in einem Laden ein Picknick für meine Tante und mich einkaufte, besorgte sich dort auch ein gross gewachsener, hagerer Kardinal einen Imbiss. Später fotografierte ich ihn, als er sich zum wundertätigen Marienbild in die San Maurizio-Kirche begab.

Für die Wallfahrenden, die in der Basilika keinen Platz mehr fanden, wurde die Messe mit Lautsprechern nach aussen übertragen. Der damals achzigjährige Kardinal Ugo Poletti – er wird drei Jahre später in Rom sterben – überbrachte vor der Messe den Gruss und Segen des Papstes, der leider nicht persönlich anwesend sein könne: Er habe sich beim Aussteigen aus der Badewanne einen Fuss verstaucht.
Meine Tante und ich reisten über Locarno nach Bern zurück. Die Wagen waren alle gestossen voll. Als in Camedo ein Schweizer Billeteur zusteigen wollte, rief ihm ein Mann zu: „Wenn Sie hier durchkommen wollen, kann Ihnen nur ein weiteres Wunder helfen.“ Der Kondukteur lachte mit und schloss die Tür.