Fast wie im Tessin

Zum ersten Mal reiste ich 1972, achtundzwanzigjährig, mit Frau, fünfjährigem Töchterchen und dreijährigem Söhnchen nach Finnland, auf eine Einladung von Freunden hin – sie Schweizerin, er Finne -, die aus der Schweiz nach Helsinki gezogen waren. Für Marianne ging mit dieser Reise in den Norden ein alter Traum in Erfüllung; ich war neugierig, mehr nicht.

Ehrlicherweise muss ich hier einen Traum erwähnen, den ich als etwa Zwölfjähriger geträumt hatte: eine herbstbunte Landschaft, von der ich damals aus unerfindlichen Gründen wusste, dass sie im hohen Norden lag, ein märchenhaftes Laubfeuerwerk, für das ich heute das finnische Wort „ruska“ habe. Aber daraus eine irgendwie angeborene Finnland-Anfälligkeit abzuleiten, schiene mir zu kühn.

Tatsache ist, dass ich 1972 schon beim Verlassen des Flugzeugs in Helsinki von Finnland, genauer: vom finnischen Sommer, überrumpelt wurde. Wir waren in Zürich bei kühlem Wetter ins Flugzeug gestiegen, in Helsinki kamen wir schon beim Aussteigen ins Schwitzen. Finnland hatte in einem Sommer wie demjenigen von 1972 mit mir ein leichtes Spiel. So viel Sonne, so viel Wasser, abgeschliffene Granitfelsen und Quarzsand – meine Familie und meine Freunde kennen meinen Ausruf, wenn es mir an einem für mich neuen Ort wirklich gut gefällt: „Fast wie im Tessin“, schwärme ich dann.

Mit jedem weiteren Aufenthalt wurde es für mich in Finnland immer mehr „fast wie im Tessin“, wie in den Centovalli, wo auf saurem Boden zwischen Granitblöcken Heidel- und Preiselbeeren reifen, Pilze wachsen und Birken uns von der Talstrasse abschirmen.

Wie im Tessin wuchs in Finnland unser Freundeskreis und vertieften sich die alten Freundschaften.

Das Foto stammt aus Mariannes Album und wurde in Vassor im Sommer 1980 aufgenommen.